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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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anderen um sie herum und begrüßten Cengi auf die gleiche Weise und murmelten ihm etwas zu.

    »Ich heiße Sie willkommen, guten Tag, entschuldigen Sie«, sagte der kleine Mann zu Heinsohn, der an den Rand der Gruppe geraten war. »Mein Name ist Sehriban Örnek.«

    »Goden Dach«, murmelte Heinsohn verlegen.
    »Mein Chef, Herr Heinsohn«, rief Heyder Cengi über die Schulter eines Landsmannes hinweg.
    »Kommen Sie herein, wir werden essen«, sagte der Mann und Heinsohn fiel auf, dass er noch besser Deutsch sprach als Heyder Cengi.
    Örnek fasste Heinsohn sanft am Ellbogen und bugsierte ihn durch eine Aluminiumtür in ein nacktes Treppenhaus mit abgewetzten Betonstufen, in dem es nach Fleisch roch. Sie gingen nach oben in das erste Stockwerk, und bevor Heinsohn wusste, was mit ihm geschehen war, saß er am Kopf einer langen Tafel, einen Plastikteller mit Fleisch und Gemüse vor sich, von dem er einige Sorten gar nicht kannte. Ein anderer Mann, der neben ihm saß, nickte ihm zu, schob ihm eine Gabel über den Tisch und wünschte guten Appetit, und so gehorchte er, fasste die Gabel und stach in das Essen und aß, und als er den ersten Bissen genommen hatte, sah er sich vorsichtig um. Es gab noch eine zweite lange Tafel in dem großen Raum, näher an der Fensterfront. Um die hundert Menschen, Männer und Frauen, alt und jung, saßen bunt durcheinander, beidseitig der Tische, sprachen leise miteinander und aßen und Heinsohn verstand kein einziges Wort. Er war der einzige Weiße hier und er dachte, eigentlich müssten ihn doch alle anstarren, weil er doch ein Fremder war, aber nichts dergleichen geschah. Man beachtete ihn nicht besonders. Heinsohn erinnerte sich plötzlich an die einzige Reise, die er je gemacht hatte, damals vor fünfzehn Jahren mit Hilda noch, mit dem Versuchsring, sie waren vier Tage nach Paris gefahren und dort hatte es eine Menge Schwarze gegeben, aus den Kolonien, wie es hieß, und Heinsohn hatte die immerzu ansehen müssen.
    An Hilda hatte er schon lange nicht mehr gedacht, Heinsohn schnaufte und stieß die Gabel wütend in das Fleisch, wobei er nicht wusste, ob er sich über Hilda ärgerte oder über sich selbst, weil seine Gedanken verrückt geworden waren in den paar Stunden, seit er den Hof verlassen hatte, und sie gegen seinen Willen in seinem Kopf herumspukte und jene drei Nächte in Paris, die einzigen in ihrer missratenen Ehe, in denen sie in einem fremden Hotelbett wie zwei frisch Verliebte ein Liebesmahl eingenommen hatten, mehrgängig und französisch gewürzt, ohne neugierige Eltern, quengelige Kinder und eifersüchtige Schwestern im Haus und hinter der Wand und im Badezimmer und überall. Seine Schwester Hedwig hatte er mit übernommen, mit dem Hof damals. Sie war sitzen geblieben, hatte keinen Mann abgekriegt und war eifersüchtig wie Schwefel; sogar mit faulen Äpfeln hatte sie Hilda beworfen. Bis Hedwig gestorben war, wohnte sie in der Leutekammer und schlich windschief und dürr ihre Wege zum Stall und zurück, wo sie die Kälber versorgte.
    Diese Gedanken!
    Das Essen war gut. Heinsohn hatte Hunger, denn sie hatten es heute Morgen eilig gehabt und nur einen Kaffee getrunken. Verstohlen hob er seinen Blick.
    Der linke Platz neben ihm war leer und rechts neben ihm saß ein Mann, der ein kleines Lächeln auf seinem bronzenen Gesicht erscheinen ließ und sagte: »Wir haben bestimmt noch mehr, he – Erfan«, rief er auf Deutsch einem Halbwüchsigen mit sprießendem Schnurrbart zu, der neben der Tür, die ins Treppenhaus führte, hinter einem Tisch mit einem dampfenden Kessel stand. »Hast du noch was für meinen Nachbarn hier?« Der Mann sprach zwar mit Akzent, aber er machte fast keine Fehler.
    »Klar«, antwortete der Junge, kam hinter seinem Tisch hervor, schnappte Heinsohn den Plastikteller vor der Nase weg und stellte ihn kurz darauf gefüllt wieder vor ihn hin. »Bitte schön«, sagte er und verschwand.
    »Danke«, sagte Heinsohn gegen jede Gewohnheit.
    Als der zweite Teller halb leer war, sagte sein Nachbar: »Gutes Essen, nicht wahr? Übrigens heiße ich Mehmet Yigzi. Und Ihren Namen kenne ich bereits, Herr Örnek hat ihn mir vorhin gesagt, das ist der Mann, der Sie unten begrüßt hat. Heyder hat mit seiner Familie zu sprechen, sicher entschuldigen Sie, dass er keine Zeit für Sie hat. Sie müssen mit mir vorliebnehmen.« Er lächelte wehmütig, wie Heinsohn schien, und fuhr dann fort: »Wir sind hier im Gedenken an Veli Adaman.« Er machte eine Pause und fügte dann

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