Parallelum - Der dunkle Beobachter (German Edition)
ich mich. Ich bin sehr blass und sehe müde aus. Meine Augen sind gerötet, und dunkle Schatten haben sich wieder unter ihnen gebildet. Mit einem Handtuch trockne ich mein Gesicht ab. Ich atme noch einmal tief durch und gehe zu Marco ins Wohnzimmer. Im Flur kommt mir schon der Geruch von frisch gekochtem Kaffee entgegen. Ich setze mich an den Tisch, während mir Marco eine Tasse und ein belegtes Brötchen hinstellt.
»Geht es dir gut?«, fragt er und sinkt neben mir auf den Stuhl. »Was war das für ein Traum?«
»Ach, nichts; einen ähnlichen Traum hatte ich ständig als Mädchen. Es ist nur komisch, ihn gerade jetzt wieder zu träumen.«
»Hmm…«, ist das Einzige, was er dazu sagt. Wir trinken still unseren Kaffee und essen jeweils ein Brötchen.
»Wir sollten uns langsam auf den Weg machen. Bist du bereit?«, fragt Marco und mustert mich.
»Ja«, antworte ich nickend.
»Ich habe die Schuhe vorhin geholt«, sagt er und zeigt auf meine Schuhe neben der Couch.
Ich habe vergessen, dass wir sie am Eingang ausziehen mussten. Nun schlüpfe ich in meine Jacke und ziehe mir die Schuhe an. Marco fasst mich an den Schultern und schließt die Augen. Er scheint sich sehr konzentrieren zu müssen. Ich spüre langsam, wie sich mein Umfeld bewegt. Plötzlich weht starker Wind um uns. Ich halte die Luft an und schließe die Augen. Genau so unerwartet, wie der Wind gekommen ist, ist er wieder verschwunden. Marcos Hände lassen mich los. Als ich meine Augen öffne, sind wir nicht mehr in Stellas Wohnzimmer, sondern mitten auf der Via Collinense.
»Unglaublich!«, flüstere ich und sehe Marco in die Augen. Er grinst. Ich sehe mich auf der Straße um, doch es ist niemand zu sehen: der perfekte Tatort ohne Gefahr, von Zeugen beobachtet zu werden.
»Jetzt müssen wir uns nur noch ein wenig gedulden«, sagt Marco schließlich.
Es ist bereits 5:50 Uhr und noch dunkel. Das einzige Licht kommt von einer Straßenlaterne, die etwa zehn Meter von uns entfernt leuchtet. Das macht es schwierig, uns zu entdecken, dennoch verstecken wir uns sicherheitshalber hinter einem Gebüsch.
»Stellas Angaben zufolge müsste es genau hier passieren«, stellt Marco fest.
»Ich bin mir sicher, dass sie recht hat. Genau dort wurde er vor fünf Jahren gefunden«, sage ich und zeige in die Mitte der Straße. Ein kalter Regentropfen fällt auf meine Hand, und kühler Wind bringt die Blätter der Bäume zum Rascheln.
»Jetzt regnet es auch noch!«, zische ich kaum hörbar. Ich spüre einen leichten Druck im Kopf.
»Ich glaube, es ist bald so weit. Ich spüre es«, flüstere ich Marco zu, und er nickt.
Ich höre klackernde Absätze. Eine junge Frau kommt die Straße herunter. Das muss sie sein. Sie wird das nächste Opfer, ich muss sie warnen. Ich fühle, wie der Druck in meinem Kopf steigt. Plötzlich leuchtet ein grelles Licht mitten auf der Straße auf. Ich presse die Hände an den Kopf und hoffe, ich kann den Schmerz lindern, doch es wird nur schlimmer. Ich sinke zu Boden, Marco stützt mich.
»Eva, ist alles in Ordnung?«, fragt er besorgt.
Ich darf jetzt nicht schlappmachen. Das muss ich mit eigenen Augen sehen. Also nehme ich all meine Kraft zusammen und richte mich wieder auf. »Keine Sorge, mir geht es gut«, versichere ich ihm und versuche mich selbst zu überzeugen. Der kühle Regen nimmt zu, und das Licht wird immer greller.
»Wir müssen dahin. Wir müssen verhindern, dass ein weiterer Mensch stirbt!«, sage ich. Ich trete aus dem Gebüsch und nähere mich dem Licht.
Marco packt mich an der Schulter. »Nein! Das ist zu gefährlich. Wir wissen nicht, inwiefern ihn die Organisation kontrolliert. Wir müssen uns an unseren Plan halten!«, versucht er mich aufzuhalten, doch ich reiße mich von ihm und laufe zum Licht. Plötzlich erlischt es, und Dunkelheit breitet sich wieder aus. Etwas geblendet, trete ich näher heran und fange an, etwas zu erkennen. Das Bild, das sich mir zeigt, versetzt mir einen Stich ins Herz.
Da sitzt er: zusammengekauert unter dem Regen, genau an der Stelle, an der man ihn vor fünf Jahren halb tot gefunden hat. Er hat die Hände voller Verzweiflung vors Gesicht geschlagen und gibt nur ein leises Winseln von sich. Das gelbe Licht der Straßenlaterne über ihm wirft einen dunklen Schatten zu seiner Rechten. Seine Kleidung ist zerrissen und vollkommen durchnässt. Das Blut an seinem Körper, das langsam vom Regen weggespült wird, ist nicht sein Blut, sondern das seines weiteren Opfers. Vor mir sitzt ein
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