Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme
denn er konnte nicht länger für seine eigene Unschuld garantieren.
Diese Frau, diese Unbekannte, hatte es ihm vor Augen geführt. Ihre Ähnlichkeit mit Abby hatte die Büchse der Pandora geöffnet und seine Emotionen freigesetzt. Emotionen, die er nicht mehr zurückzuhalten vermochte. Ein Jahr lang hatte er es versucht und dabei eine Psychose entwickelt.
Die Psychose eines Schuldigen?
Doch er stieg nicht aus. Ging nicht zurück in die Klinik. Erzählte niemandem von seinem Blackout und seinen Wahnvorstellungen. Nein, er lehnte sich zurück und schloss die Augen. In dem Moment hörte er ein Flüstern.
»Hallo, Dr. Tolan.«
Bevor er reagieren konnte, spürte er im Nacken den Stich einer Nadel, und augenblicklich fiel er in ein tiefes, schwarzes Loch.
TEIL 4
Der Mann,
der nicht dort war
29
Solomon fühlte es, seit sie die kurvenreiche Straße zum Verrückten-Hotel hinauffuhren. Zunächst war es lediglich ein unbestimmtes Gefühl, doch je näher sie der Klinik kamen, desto deutlicher wurde es.
Ungemach. Drohendes Ungemach. Der Rhythmus wurde eindeutig unterbrochen.
Die beiden Cops unterhielten sich über Fußball. Der Fahrer beobachtete Solomon im Rückspiegel, warf ihm einen mürrischen Polizistenblick zu. Nachdem sie das County General verlassen hatten, hatte er ihn geschlagen. Sagte, Solomon hätte alles vermasselt durch sein Benehmen gegenüber der Dame in der Notaufnahme und weil er ihn einen Lügner und sonst was genannt hatte. Wenn sie erst einmal in Baycliff wären, würde er den Ärzten dort erzählen, Solomon sei ein gewaltbereiter Sexualverbrecher. Dann würde er schon sehen!
Doch Solomon machte sich keine Sorgen. Jedenfalls nicht darüber.
Aber das drohende Ungemach, diese Unterbrechung des Rhythmus schien, gelinde gesagt, besorgniserregend. Einerseits war es die Bestätigung, die er brauchte. Die Frau, die er als Myra kannte, befand sich dort. Andererseits jedoch war es die Bestätigung seiner schlimmsten Befürchtungen. Sie war nicht mehr die Myra, die er kannte. Wenn sie überhaupt noch Myra war.
Hinter der nächsten Kurve entdeckte Solomon die Klinik, eine Ansammlung trister Gebäude, die ebenso gut zu einem College oder einem Bürokomplex hätten gehören können. Als der Polizeiwagen auf den Parkplatz einbog, fiel ihm hinter dem Weg zum Haupteingang eine Ansammlung von Pfefferbäumen auf. Für Solomon hatte dieses Wäldchen eine eigenartige Atmosphäre, als lauere dort etwas Lebendiges. Eine Gefahr.
Ungemach.
Es musste erst schlimmer werden, bevor es besser werden konnte. So war es immer.
30
Zwei Nervenzusammenbrüche so kurz hintereinander. Das war wirklich eine reife Leistung!
Ganz offensichtlich hatte Tolan ernsthafte psychische Probleme. Blackburn wünschte, er hätte die Psycho-Tante nicht ausgerechnet hierhergebracht.
Nachdem Tolan hinausgestürmt war, hatte Blackburn sie sich genauer angesehen, auf der Suche nach dem, was eine so heftige Reaktion bei Tolan ausgelöst hatte. Die Frau lag dort in ihrer üblichen Position, Knie angezogen, den Kopf auf die Brust gesenkt, und flüsterte ihren stupiden Singsang vor sich hin.
»Zwei mal vier ist eine Lüge, zwei mal vier ist eine Lüge …«
Hatte sie vorher nicht Tolans Namen genannt? Sie hatte etwas zu ihm gesagt, das wusste er genau. Blackburn glaubte gehört zu haben, wie sie ›Michael‹ gesagt hatte. Aber er war sich nicht sicher. War sich bei dieser Sache mit nichts mehr sicher.
»Zwei mal vier ist eine Lüge, zwei mal vier ist eine Lüge …«
Wer war diese Frau? Kannte Tolan sie? Welche Macht hatte sie über ihn?
Nachdem er den Raum verriegelt hatte, wandte sich Blackburn an eine der Pflegerinnen auf dem Gang. »Haben Sie gesehen, wo Dr. Tolan hingerannt ist?« Die Pflegerin deutete in eine Richtung. »Um die Ecke dort.«
Sofort wollte er sich auf den Weg machen, doch sein Telefon piepte. Er kramte es heraus und klappte es auf. De Mello. Er drückte eine Taste. »Hey, Fred, hast du den Namen des Models?«
»Ich warte noch auf den Rückruf«, sagte De Mello. »Aber ich habe die Telefondaten, nach denen du gefragt hattest. Wohin soll ich sie faxen?« Tolan hatte sich mit der Auswertung der Daten seines Handys einverstanden erklärt, in der Hoffnung, Vincents Anrufe ließen sich zurückverfolgen.
Blackburn erinnerte sich, eins dieser kombinierten Drucker-Faxgeräte in Tolans Büro gesehen zu haben. Der Ort war so gut wie jeder andere. Und wer weiß, vielleicht war Tolan ja dort.
»Gib mir ein paar Minuten«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher