Paravion
sich eine weiße Eule aus den Schaumkronen, unter wildem Flügelschlagen, um das Wasser aus den Flügeln zu schütteln. Jetzt ist der gesamte Fang drinnen, dachte sich der Fischer und fing an zu rudern.
Einige Tage vorher war ein Familienteppich vorbeigeflogen und nur mit knapper Not den Wellen entronnen. Einer der Reisenden wäre fast ins Meer gestürzt, doch die Reisegenossen hatten ihn gerettet: Die Füße strampelten in der Luft, während die anderen ihn mit vereinten Kräften am Kragen auf den Teppich zurückzogen. Jetzt aber trieb ein Garten auf den Wellen, bis die Tiefen daran zu zerren begannen.
3
In der Fata Morgana tauchte Paravion auf, die Straßenbahnen glitten laut klingelnd vorbei, Menschen mäanderten durch die Straßen, im Fluß Amstel spiegelten sich Gebäude und Passanten, und er führte die ganze Welt mit sich mit, die Wolken flimmerten, und im grünen Paradies in der Mitte schenkten die Menschen der raren Sonne ihre Nacktheit.
Der Schäfer schlief.
Paravion war schon verschwunden, als die Nachmittagssonne Baba Baluks Augen weckte, die sich daraufhin blumengleich öffneten: glatthäutige Löwenzahnblumen. Als er ein Glockenspiel aus Ziegenglöckchen hörte, richtete er sich auf.
Das Mädchen kam gerannt, hinter ihr eine kleine Ziegenherde, die ihr zahm und ehrfurchtsvoll folgte. Ihre errötenden Knie berührten sich beinahe beim Laufen, die Zehen zeigten leicht nach innen. Ihr Gang war keck und kindlich, dennoch legte sie die Strecke mit reifer Verhaltenheit zurück. Ihre wenig ausfälligen Hüften drehten sich in raschem Tempo, ihre pendelnden Arme knickten bei den Ellenbogen nach außen ab.
Die Haltung ihres Kopfes, schräg nach rechts – was hörte sie, was er nicht hören konnte? –, und die kleinen, runden Schultern verliehen ihr einen liebenswerten Charme. Sie lächelte, die Brauen zusammengezogen, weil sie das Licht blendete, die Augen ein Gewirr schwarzer Wimpern. In ihren Locken baumelten blaue Blüten, von denen ein paar zur Erde fielen. Unter ihrem Arm trug sie, auf die Hüfte gestützt, eine rote Plastikschüssel.
»Die Ziegen haben dir Cheira und Heira gegeben, stimmt’s?«
fragte sie.
Er nickte, sein Mund lächelte, seine Augen frohlockten. Sein Gesicht war jetzt voll erblüht, die fötalen Züge und Rundungen, die sich auf einem Kindergesicht so lange halten, waren bei ihm verschwunden. Der Kokon war aufgeplatzt, sein Körper hatte gegähnt und sich anmutig ausgestreckt. Die Arme waren etwas schlacksig, die Schultergelenke muskulös, die Schlüsselbeine breiteten von der tiefen, den Schweiß sammelnden Drosselgrube ausgehend die knochigen Flügel aus. Beine und Waden waren sehnig.
Die Ziegen waren mager, die Rippen traten an beiden Seiten hervor, in ihren schönen Augen lag etwas Trauriges, eine fast menschliche Traurigkeit, ein jünglingshafter Weltschmerz. Ihr Gemecker klang leise und unpäßlich, die Glöckchen zerrten an ihren Hälsen, so daß sie die Köpfe demütig gesenkt hielten.
Die Hörner ringelten sich schön, durch die Bärte sahen sie aus, als schmollten sie.
Sie stellte die Schüssel voller Lumpen, alter Taue und einem zerschlissenen Fischernetz am Bachufer ab. Ein paar Blumen fielen aus ihren Locken. Nachdem sie die Schüssel ins Wasser getaucht und so gefüllt hatte, sagte sie ernst: »So, das muß jetzt eine Weile einweichen. Das ist wichtig.«
Baba Baluk nickte und schaute zu seiner Herde hinüber, die jetzt neun Tiere umfaßte. Alles um ihn glänzte, erfrischt vom Schlaf und Schweiß der Siesta. Die Vögel trällerten die alten Madrigale, wie immer.
»Es ist schon komisch«, sagte er, »die Vögel machen einen Heidenlärm, aber ich sehe sie nicht. Nur manchmal.«
»Hörst du mir überhaupt zu?«
Er erschrak über die Schärfe in ihrer Stimme und schaute sie verstört an: »Aber ja doch.«
Da kehrte ihr Lächeln zurück und ließ ihre Lippen auftauen:
»Gut so! Man sagt, Vögel sind Hüter der Seele«, sprach sie.
»Wenn das wahr ist, muß die Seele etwas sehr Lautes sein.
Und außerdem sterblich, besonders, wenn man bedenkt, wie kurz das Leben eines Spatzes ist. Mein Lieblingsvogel. Es kommt vor, daß Spatzen sich zu Tode paaren.« Sie hob die Augenbrauen.
Die Ziegen grasten weiter. Sie ging zu den Bäumen und inspizierte die Früchte.
»Ich habe was zu essen für dich mitgebracht«, sagte Baba Baluk und holte eine Feige, eine Dattel, Oliven und eine Orange aus seinem Schäfersäckel hervor. Die Hände zur Schüssel geformt, hielt er
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