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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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lebendigen Augen, die jetzt ganz andere Dimensionen erschauten: die Mütter die Welt, in der ihre Jugend so früh verblich, und die alten Jungfern die Ödnis nutzloser Weiblichkeit. Alle aber waren sie am Elend und an der Frustration irre geworden. Wie oft hatten sie gesagt, sie wollten lieber sterben als unverheiratet durchs Leben gehen, doch Leben und Tod waren offensichtlich anderer Meinung.
    Was für eine Schande. Das Umschlagtuch bedeckte zerschrumpelndes Fleisch über einem zerbröselnden, verkümmerten Skelett. Sie bestanden nur noch aus Knorpel.
    Ihre zerbrechlichen krummen Finger lagen wie verbrannte Streichhölzer auf Dingen, die nur ihre Knie sein konnten. Ab und zu lachte eine der Hexen oder stieß ein Elsternkrächzen aus. Dann kam eine junge Dame – die Mädchen dort wuchsen schnell –, tippte ihr gegen die Stirn und wischte das Sabbergespinst weg, wonach die Zunge ihre Spinnweberei fortsetzte. Sie atmeten nicht, sondern haschten nach Atem; Zahnfleisch ohne Zähne.

Die sieben jungen Frauen lungerten gelangweilt herum, inspizierten Fingernägel und Insektenstiche, bürsteten das Haar, stießen einander an, neideten den anderen die Formen oder den Mangel daran, und legten sich hin, auf die Seite, um ihre rückwärtigen Schönheiten nicht zu zerdrücken – Fülle war erwünscht. Ungezählte Male standen sie vor den Spiegeln und studierten die Wirkung dieser oder jener Körperhaltung –
    »geht gut!« – und unterhielten sich über Heiratskandidaten und darüber, was sie von den Männern erwarteten. »Also, der Mann, der diese Lippen hier, die noch nie einer berührt hat, küssen will, der muß…« Und: »Bevor ein Kerl diesen Hintern hier anfassen darf, muß er…« Und so weiter. An ihren vielen Fingern zählten sie die Bedingungen auf, denen ein Bräutigam genügen müsse. Jungfräulichkeit war etwas Kostbares, etwas äußerst Begehrenswertes.
    Sie trugen ärmellose Nylonkleider, hellrosa, schwarz, grün, gelb, blau, alle Farben verblaßt. Unter den Spaghettiträgern war das komplizierte System ihrer Büstenhalter zu sehen; nackte Haut scheinbar ohne Absicht, das Dekollete lässig, doch war alles präzise, ja sogar kunstreich arrangiert. Sie bewegten sich unter schimmernden Falten träge, den Unterröcken angemessen, in denen sie auch schliefen. Sie waren sechzehn Jahre alt und störten sich an ihrer dunklen Hautfarbe. Die Sonne mieden sie, wo es nur ging, und sie schrubbten die Haut und schmierten sie mit fragwürdigen Salben ein, doch das Haselnuß wollte nicht zum Alabaster werden. Neid nagte an ihren jungen Herzen. Sie wollten nicht zurückstehen hinter jenem Mädchen, das am Nachmittag die frohe Botschaft empfangen hatte. Ein Vater hatte mit seinem Sohn das Dorf besucht. Überschwengliche Glückwünsche sollten den Neid kaschieren, doch die zukünftige Braut, diese Glücksmarie, bemerkte die Mißgunst, und ob, denn darum ging es ja, das war der Zweck des Ganzen. Doch wo war sie jetzt? Nirgendwo zu entdecken natürlich, machte sich rar wie eine Prinzessin.
    Dabei war der Sohn nichts Besonderes, eine exakte Kopie seines Vaters, nur jünger natürlich, aber wie lange noch. Ein ganz normaler junger Mann, einer aus der Massenproduktion, Fließbandarbeit, so was. Sie würden wählerischer sein, das war klar.
    Der Vater hatte sich mit der Mutter unterhalten, im Beisein der Tochter: »Meine Mutter ist fast taub, müssen Sie wissen, und ihre Stimme sehr schwach. Deshalb werde ich Ihnen wiederholen, was sie sagt. Ich werde ehrlich sein. Auch wenn sie der Heirat nicht zustimmen will.«
    Und so tat die Mutter, was sie immer tat, das heißt, schwachsinnig lächeln und nicken, und die Tochter betätigte sich als Bauchrednerin. Jeden Satz des Vaters wiederholte sie der Mutter ins Ohr, tat danach, als lauschte sie, was Mutti ihr ins Ohr keuchte, und übersetzte deren bloßes Atemholen in verständliche Sprache. »Meine Mutter ist der Meinung, daß die Mitgift viel zu niedrig ist.«
    Der Sohn war, wie sein Vater, zu dumm, um zu begreifen, was vor sich ging. Ein gutes Zeichen, ja, sogar ein vortreffliches. Nach dem Gespräch war ihr Ohr von Mutters Speichel ganz durchweicht. Vater und Sohn stiegen wieder auf ihren Karren, beeindruckt vom Verhandlungsgeschick der Mutter. Wenn man bedachte, daß diese die ganze Zeit nur genickt hatte, dann mußte ihre Zustimmung zur Heirat ein Ergebnis von Kalkül und zögernd gewährten Zugeständnissen sein. Das Mädchen war beglückt: Mit so einem Grützkopf als Mann wäre

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