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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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die Falten ihrer Kleider glatt und zähmten die widerspenstigen Strähnen im Knoten oder in den offen getragenen Haaren.
    Der Eselskarren kam zum Stehen, und das Tier schüttelte seinen Kopf.
    »Laßt ihn nicht rein! Laßt ihn noch nicht rein!« rief Quadryge in verhetztem Schrecken. Sie hatte gerade eine heftige Meinungsverschiedenheit mit ihren Kleidern, die plötzlich weder Kragen noch Ärmel zu haben schienen. Ihr kam alles asymmetrisch vor, endlos kurbelte sie mit ihren Schultern und war am Rande eines Schreikrampfs. Dabei hatte sie nur die Weste falsch geknöpft. So hatte sie sich das nicht vorgestellt.
    Eines der Mädchen beobachtete ihre komödienhafte Panik und sagte, nicht ohne Schadenfreude und Triumph in der Stimme:
    »Immer mit der Ruhe, laß es am besten sein!«
    Mit hochgereckten Ellenbogen und hängendem Kopf, am Hals herumfummelnd, sie konnte den Verschluß des Kettchens nicht finden, verschwand Quadryge wieder durch einen Vorhang in der duftenden Finsternis. Der Weihrauch brannte Tag und Nacht.
    »Quadryge, hör mal – «
    »Sofia, verdufte!« kreischte sie.
    Der Eseltreiber sah, was übrigens äußerst merkwürdig war, keinen Tag älter aus als an jenem Tag, an dem er die Mütter gefahren hatte. Sein Greisentum war noch aus derselben Asche geformt, dem Verbrannten seiner Jugend. Dieselben Falten, in derselben Menge, durchfurchten sein Gesicht, doch hier lag nicht ein Fall verdorrten Alters vor, sondern eine Art heilsame Reife, begünstigt vom Klima des Grüns und der Regenwolken.
    Auch der Mann neben ihm auf dem Bock war so jung oder so alt wie damals, als die Mütter seine Dienste in Anspruch genommen hatten.
    Sofia folgte Quadryge, um sie zu beruhigen. Sie solle ihr zuhören, sie irre sich; nicht der Hochzeitskandidat sei eingetroffen, auf den sie doch alle warteten, sondern der Lehrer. Der stieg gerade vom Kutschbock, grimassierte Richtung Sonne und grüßte ehrfürchtig, die Augen niedergeschlagen. Er kratzte sich am Hinterkopf.
    »Kann ich euren Vater sprechen?« erkundigte er sich, wobei er die Mädchen eines nach dem anderen musterte. Seine Zähne waren safrangelb in der Mittagssonne, manche hatten schwarze Flecken. Er unterließ es besser, zu lächeln oder sein Gebiß zu zeigen, denn es zerriß den erhabenen Traum seiner Schönheit.
    Was für ein Herzchen! Er glaubte doch tatsächlich, sie seien alle Schwestern. Die Mädchen kicherten hinter vorgehaltenen Händen, verstummten aber sofort, als Sofia vors Haus geschubst wurde. Zunächst stolpernd, fand sie sofort ihr Gleichgewicht wieder und kam direkt vor dem Lehrer zum Stehen. Sein Atem roch nach Tabak. Sie errötete von den Zehen bis unter die Haarwurzel, trat dann wieder ins Glied ihrer Freundinnen zurück, denen sie einen fragenden Blick zuwarf.
    »Er denkt, wir sind Schwestern«, flüsterten sie ihr zu.
    Erneutes Gekicher.
    Der Eseltreiber wischte sich die Stirn. Höchstwahrscheinlich hatte er auch Durst.
    »Wir sind keine Schwestern«, antwortete Sofia. Die anderen Mädchen stießen sie in den Rücken. Sie wußte, was das hieß, doch bevor sie die entscheidende Frage stellen konnte, wurde sie von Quadryge beiseite geschubst, die in vollem Ornat und an den Kleidern zupfend herantrat. »Wo ist er?« fragte sie mehrere Male hintereinander, wie jemand, der ein Kind, eine Katze oder ein Armband verloren hatte. Ein koketter Schleier bedeckte die untere Hälfte ihres Gesichts, die Wimpern bewegten sich wie die Zweige eines Strauchs, in dem sich Vögel tummelten. Übertrieben gestikulierte sie mit den Händen, um die Armbänder zum Klirren zu bringen. Sie war so außer Atem, daß ihr offenstehender Mund den Schleier einsog und ausblähte, der dadurch vom dunklen Lippenstift befleckt wurde. Mit Daumen und Zeigefinger lupfte sie den Kaftan in Hüfthöhe ein Stück, so daß ihre Turtelfüßchen und die Fußreifen gut zur Geltung kamen.
    »Ich wollte es dir noch sagen«, sagte Sofia achselzuckend,
    »aber du wolltest ja nicht zuhören.«
    Der Eseltreiber und der Lehrer sahen sich an. Sie fanden langsam Spaß an der Sache. Schließlich ging nichts über die Töchter des Vaterlands. Diese Feststellung gefiel ihnen über die Maßen und erfüllte sie mit Stolz (mich ebenfalls, meine Herren).
    »Sind Sie die Mutter?« erkundigte er sich bei Quadryge.
    Die Mädchen prusteten los und krümmten sich vor Lachen.
    »Seid still!« rief Quadryge. »Ab ins Haus!« Die Mädchen schauten sie mit feuchten Augen an und vernahmen das Echo aus der Vergangenheit mit

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