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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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Verblüffung. Vielleicht gehorchten sie deshalb ohne Murren. Quadryge warf ihnen einen Blick zu, den sie unmittelbar verstanden. Sie blieben hinter der Tür stehen, um zu lauschen.
    »Ja, ich bin die Mutter. Sie werden das zwar kaum glauben, weil ich, wie Sie sehen, noch so jung bin. Diese Töchter! Zum Verrücktwerden manchmal!«
    »Ja, ja«, sagte der Lehrer, »man muß sie an die Kandare nehmen. So leichtsinnig, wie sie sind.« Nichts gehe über die Töchter des Vaterlands, aber doch unter bestimmten Bedingungen und noch strikteren Umständen, selbstredend.
    »Sie sind wie die Spatzen, sie flattern mit jedem Wind mit«, bestätigte der Eseltreiber. »Wo ist der Vater der Mädchen?«
    »Mein Mann ist auf dem Feld.«
    »Es geht um Ihre Söhne«, sagte der Lehrer.
    »Er kann jeden Augenblick zurückkommen«, fuhr Quadryge fort. »Warum treten Sie nicht ein? Haben Sie keine Angst, meine Mutter ist zu Hause. Es wird nichts Ehrloses geschehen.
    Ich lasse Tee für Sie zubereiten. Sie werden beide durstig sein.
    Die Schlingel, was haben sie jetzt wieder angestellt?«
    Die Männer sahen sich an und nickten. Der Eseltreiber stieg vom Bock und folgte mit dem Lehrer der absichtlich langsam schreitenden Frau ins Haus. Die Mädchen wußten, was sie zu tun hatten, und fanden die notwendigen Gerätschaften auch schnell. Im Innern des Hauses angelangt, schlug Quadryge die Tür hinter sich zu, riß den Schleier vom Gesicht und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Die Männer schauten verdutzt auf, als sie den Schlüssel im Schloß hörten.
    »Wie die Spatzen, nicht wahr?« Sie ahmte die Stimme des Eseltreibers nach und zog die Augenbrauen in die Höhe. Dann richtete sie den Blick auf den Lehrer: »An die Kandare nehmen, was?« Sie war wütend, ein Dämon aus heruntergeschlucktem Ärger bemächtigte sich ihrer, und aus ihrem Mund brach ein Sturzbach aus Schimpfwörtern, auf die Cheira und Heira stolz hätten sein können: Mondkalb, Gimpel, Geiselbrecht, Milchfridl, Schottenschlicker, Hellrigel. Zwei perfekte Kreise der Anspannung röteten sich auf den Wangen, in ihrem Kopf brüllte ein zornentbranntes Bestiarium, von der Zikade zum Kuckuck, vom Frosch zur Feldgrille – manchmal habe ich mich einfach nicht unter Kontrolle.
    Ihr Putz war zerlaufen. Doch genoß sie die Situation wie die anderen Mädchen auch, die grell auflachten und dann den Gefangenen mit zusammengekniffenen Augen drohende Blicke zuwarfen, wobei sie die Augenlider leicht zittern ließen.
    Sie streuten Blüten über die Männer, hoben ihre Kleider und spreizten die Beine vor deren gepeinigten Augen. Was sie mit dem Schäfer angestellt hatten, würde nichts sein verglichen mit dem, was sie mit den beiden vorhatten.
    Dieses Gelächter war das letzte, was die beiden Männer hörten, bevor sie von hinten attackiert, zu Boden gestoßen, gefesselt und mit Taschentüchern geknebelt wurden. Mitten im panischen Durcheinander schoß dem Lehrer durch den Kopf, daß er jetzt Paravion wohl nie mehr zu Gesicht bekäme. Und als sie in ein Zimmer eingesperrt wurden, war beiden klar, daß sie verloren waren, und das hatte nichts zu tun mit Quadryges Tobsuchtsanfall und der Wut ihrer Harpyien.
    An diesem Abend wartete der Apfelverkäufer vergeblich auf den Lehrer. Beide hatten die Angewohnheit, nach getaner Arbeit zusammen nach Paravion zu gehen, um in der Bar Zach zur Ruhe zu kommen und sich die Ereignisse des Tages zu berichten. Also ging er diesmal allein. Hinter dem lila Abend und den lila Hügeln leuchteten die gelben Laternen von Paravion. So glutvoll erleuchtet war Paravion, daß die Sterne nicht mehr zu sehen waren.
    »Hä?«

    Es war klar, daß der zukünftige Bräutigam noch einigen Schliffs bedurfte. Er ging mit Quadryge unter den Olivenbäumen hinter dem Dorf spazieren, von Lichtfleck zu fleckigem Schatten in rhythmischem Wechsel. Die abblätternden Häuser, acht an der Zahl, standen, die Gesichter einander zugekehrt, im Rund und bildeten eine Freifläche, auf der sich ein abgetakelter Brunnen befand, direkt unter einem patinagrünen, kahlen, rheumasteif verkümmerten Baum, der wie eine alte vierarmige Bauchtänzerin aussah. An einem der Armstümpfe hatte sich ein Eimer erhängt. Mamurras und Baba Baluks Haus war von einem Weinstock überwuchert. Das Verdeck des Eselkarrens, der durch die Räder gesackt war, bestand nur noch aus einem kargen Rippengestell, daneben lag das glänzende Knochengerüst eines Maulesels. Die Skelette des Lehrers und des Eseltreibers waren

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