Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
Vom Netzwerk:
geben. Es war sowieso allmählich Zeit, seinen Teppich bei ihr abzuholen, die Ausrede war inzwischen doch etwas abgegriffen.
    »Heiraten!« riefen die Männer einstimmig aus. »Wir werden heiraten!«
    Und Morea besuchen, wenn auch nur kurz.
    »Hör zu«, hatte Marijken bei einem ihrer seltenen Besuche zu ihrer Tochter gesagt, »du mußt mit diesem Wahnsinn aufhören.
    Der Mann ist weg, basta! Er hat dich im Stich gelassen.« Sie nahm ein Zarolho-Feuerzeug, das auf einem Beistelltischchen zwischen dem Nippes lag, und spielte damit. Auch ein leeres Zigarettenpäckchen der Marke Casa Sport befand sich dort.
    »Finger weg!« rief Mamette, für sie waren diese Dinge inzwischen Reliquien.
    Aber natürlich wollte ihre Tochter nicht auf sie hören. Sie beharrte auf der Behauptung, er komme sie nachts besuchen, sie sei mit ihm zusammen, endlich könne sie in Morea sein, wo sie schon immer hinwollte. Marijken wunderte sich, eine Schale mit Zitronen, Mandeln, Orangen, Äpfeln und getrockneten Feigen zu sehen, denn Mamette aß sonst kaum etwas, war ständig auf Diät. Die Früchte mußten aus Plastik sein. »Sind sie nicht«, sagte Mamette, »die bekomme ich geschenkt. Stehen jede Woche frisch in meiner Wohnung.«
    Marijken schüttelte den Kopf: Ihre Tochter war vollkommen verrückt geworden, komplett meschugge. Sie nahm ein ziemlich abgegriffenes Reader’s Digest-Heft (Seite 76, »Wie findet man Freunde? Indem man länger lebt!«) und blätterte darin. Auf dem Plattenspieler krächzte und zischte eine alte Aufnahme von Madame Butterfly.
    »Kannst du sie nicht hören?« fragte Mamette. »Überall. Er ist auch dabei.«
    »Such dir einen anderen Freund. Es gibt massenhaft Männer.
    Und die Ausländer sind ja auch nicht das Gelbe vom Ei, hörst du?«
    »Ja, vor allem deiner nicht, dieser Ausbeuter.«
    Sie war nicht geschminkt. Ihr Gesicht sah ohne Puder und ohne die Farbpalette des Make-ups leer und verlassen aus. Ihr wahres Wesen und Äußeres waren offenbar noch zu schüchtern, um sich hervorzutrauen, zögerten noch. Jetzt war deutlich zu sehen, daß sie die grauen Augen ihrer Mutter hatte, mit den schwarzen Rändern um die Iris. Ihre Wimpern waren enttäuschend kurz und bleich ohne Mascara. Sie sah nicht glücklich aus, ihre weiße Haut war voller rosa Flecken. Waren die Farbeimer möglicherweise gar nicht für ihre Wohnung bestimmt, sondern für ihr Gesicht?
    Marijken lauschte mit schiefgelegtem Kopf und fragte dann erstaunt: »Hältst du es für möglich, daß jetzt um diese Uhrzeit hier irgendwo Handwerker arbeiten?«
    Mamette runzelte die Stirn und murmelte, sie könne sich das dumpfe Stampfen auch nicht erklären. Sie höre es schon seit einer Weile. Es hörte auf. Marijken fuhr fort: »Laß endlich die Finger von den Drogen, die machen dich kaputt.«

    »Mam, das geht dich nichts an. Übrigens mußt du das gerade sagen, du mit deiner Alkoholfahne. Ich nehme nichts mehr.«
    »Willst du die Wände streichen?«
    Mamette nickte achselzuckend. Ihre Mutter bestätigte, daß die Wohnung durchaus etwas neue Farbe vertragen könne; die häßlichen, komischen Bilder, da sei doch eine einfarbige Wand besser, weiß oder in gebrochenem Weiß oder in einem schönen Hellblau? Mamette antwortete verärgert, daß sie sich um ihren eigenen Kram kümmern solle: »Du verstehst mich nicht. Das hast du noch nie! Misch dich bitte nicht ein!«
    Marijken hatte keine Lust auf Streit, erhob sich seufzend und ging. Mamette drehte den Plattenspieler lauter, und ihre Mutter hörte Madame Butterfly singen: Chi vede mal a bimbo del Giappon occhi azzurrini? Wer weiß, vielleicht hatte ihre Tochter ja doch recht. Als sie die Tür hinter sich zuzog, war Madame Butterfly gerade bei den goldnen Locken des Kindes angekommen: E i ricciolini d’oro…
    Nichts war mehr wie früher, die Zeiten veränderten sich, die Menschen auch, Paravion mit all den Neuankömmlingen war anders geworden. Jedes Volk brachte seine eigenen Verrücktheiten mit, und diesen war Mamette erlegen. Auch ihr Leben hatte sich verändert, seit dieser Mann im Schlabberkleid, den sie nicht mal verstand, sie ab und zu besuchte. Er wollte nur das Eine von ihr, und das war auch das einzige, was sie miteinander anstellen konnten, da er sich weigerte, ihre Sprache zu lernen. Und sie fand in seiner Gesellschaft trotz allem etwas Trost, nein, keinen Trost, sondern eine Art Bestätigung. Er war jedenfalls besser als ein rosafarbener Elefant.
    Marijken wollte auf einen Schnaps in ihre Stammkneipe und

Weitere Kostenlose Bücher