Paravion
zum Park gingen, um die Nymphen zu begaffen, und das machte ihm Sorgen. Er, der gerade Marijken in tiefem Schlaf zurückgelassen hatte, betäubt vom Alkohol oder vom Sex, wer weiß das schon, kannte nur zu gut die Gefahren der Verlockungen im Park, der ungestört an ihnen vorbeizog.
»Hatscha!« sagte der Karrenlenker, so sehr schämte er sich.
Er zwirbelte die arme Mütze in den Händen, blickte zu Boden und zog mit der Schuhspitze Linien und Sicheln in den Kies.
Er war ertappt worden, das war nicht zu leugnen, was sollte er also sagen? Er war nur ein einsamer, melancholischer Mann und fühlte sich unwiderstehlich angezogen von den Wundern des Parks, der wie ein bunter Wandteppich zum Leben erwacht war und ungestört an ihnen vorbeizog.
Die Augen des Teppichhändlers konnten sich unabhängig voneinander bewegen, so daß er mit einem Auge den Karrenlenker vorwurfsvoll, enttäuscht und böse ansehen konnte, während er mit dem anderen verfolgte, was im Park geschah. Das Ganze gemäß der moreanischen Redewendung: Ein Auge ist betrunken und das andere hält Ausschau nach der Polizei. Er könne es ja verstehen, sagte er und legte dem Karrenlenker die Hand auf die Schulter; diese verfluchten Nymphen stellen jeden ehrenhaften Mann auf eine harte Probe, vor allem weil sie sich weigerten, ihre Nacktheit zu bedecken, doch er müsse auch an seine Ehre und Moral denken. Während dieser Standpauke pickte sich der Teppichhändler mit seinem einen Auge die im Park so zahlreich vorkommenden athletischen und nackten Gliedmaßen heraus – ein nackter Arm hier und ein unendlich langes Bein dort, sämtlich weiblichen Geschlechts, denn es gab viele verdorbene Frauen in diesem Park, der an ihnen vorbeizog.
»Gedärme!« sagte er ekelerfüllt. »Man ißt hier Gedärme!« Er sah gerade, wie jemand einen Hot dog kaufte. »Und was für ein Krach das hier ist!« fuhr er fort und meinte damit das Singen und Klampfen der zahlreichen Troubadoure. »Solche Musik lockt Teufel und Dämonen an!« Ein Mädchen, blondes Haar, Nase und Busen hochgereckt, bekleidet mit einem Mikroröckchen, das ihre Hüften einschnürte, rittlings auf einem Zentaur sitzend, in der erhobenen Hand eine Zigarette, trabte vorbei und betrat den Ort, wo das Sonnenlicht sich langsam von Goldgrün zu Graugrün verwandelte, dort verschwand sie in einem Nebel aus Chloroform. Die Beine hatte sie übereinandergeschlagen – der Teppichhändler spuckte aus –, ihre knochigen Knie glänzten, die Linien ihrer Schienbeine schienen wie mit dem Lineal gezogen. Und darin allein bestand der Sinn ihres Tuns: Dem Publikum ihre rahmigen Schönheiten zu zeigen. Die Elstern, Krähen und Dohlen wiederholten Mamettes schmerzerfüllten, luftzerreißenden Schrei; sie wohnte nicht weit vom Park entfernt, der ungestört an den beiden Männern vorbeiraste.
Mamettes Trauer über den Verlust und der Schmerz erreichten ihren Höhepunkt, als der Geist des Lehrers sie in ihren Visionen heimsuchte. Wie ein frischgefangener Tiger lief sie in ihrem Zimmer auf und ab. Sie begriff, daß er tot war, und schrie den letzten Schrei von vielen, die ihr die Stimme geraubt hatten, doch rasch wurde ihr klar, daß er jetzt für immer bei ihr sein würde, und das tröstete sie. Durch ihre Tränen hindurch mußte sie lachen und sie kam zur Ruhe. Sie hatte bemerkt, daß der Lehrer den Ring nicht mehr trug.
Quadryge hatte ihn jetzt und drehte ihn zwischen den Fingern, dabei den Granat bewundernd, der den dunklen Brustwarzen ähnelte, die zum Sonnen im Park auslagen, welcher ungestört an den beiden Männern vorbeizog.
Der Himmel hatte sich jetzt ganz zugezogen, doch das schien die Leute wenig zu kümmern. Die Sonnenbadenden lagen noch immer auf dem Rücken, die Augen geschlossen, hinter denen die Sonne noch glühte, die doch verschwunden war. So war das in Paravion. Der Nachmittag brach an, dem erst die Dämmerung und schließlich die Finsternis folgen würden.
Auch dann bliebe der Park so bevölkert wie am Nachmittag, und die Gelage gingen einfach weiter, die Sünde und der Sittenverfall. Ja, es würden sogar Orgien stattfinden – so jedenfalls stellte es sich der Teppichhändler vor. Nichts ist zärtlicher als sonnenbeschienene Frauenhaut, die sich abkühlt in der Nacht, ein wahres Aphrodisiakum. Und niemand war williger als die freien Frauen von Paravion. Jetzt aber setzte der Park die Tätigkeiten des Nachmittags fort und zog ungestört an den beiden Männern vorbei.
»Komm«, sagte der Teppichhändler und
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