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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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zerrte den Karrenlenker fort. Höchste Zeit für eine Versammlung im Teehaus. Lange hatte der Teppichhändler auf diesen Augenblick gewartet. Er wußte, was zu tun war, bevor die Sache ganz außer Kontrolle geriet. Der Karrenlenker – es war nicht zu fassen! Ein Mann in seinem Alter! Der Teppichhändler stieß einen Pfiff aus, und eine Meute gehorsamer Brüder stürzte aus dem Gebüsch, das den Park umzäunte, sich an den Hoden kratzend, röchelnd und hustend.
    Sie deuteten mit ihren Daumen über die Schulter und stammelten: »Die beiden Schlampen aus Morea sind auch drin!«
    Mamette bekam Besuch, und wie immer kamen ihre Geister, ohne anzuklopfen. Sie hörte ein Klackern am Fenster, doch ihr spielte die Erinnerung einen Streich; das ferne, dumpfe Stampfen, das sie ebenfalls hörte, gehörte nicht dazu. »Komm rein, komm rein«, sagte sie und ließ sich rücklings aufs Bett fallen, mit einem Herzen, das erschöpft war wie ein eben geretteter Schiffbrüchiger, und mit vom Weinen brennenden Augen, die im aufgewühlten Tiefenstrom ihrer Halluzinationen schwammen, wo zärtlicher Gesang zu hören war, tlewnerennireniegnumramu. Dämonen tratschten, und es entfaltete sich ein Mosaik aus Leben und Farben.
    Mein Hosseloddelchen: Du bist der Liebling meiner Gedanken.

    3
    »Hör zu!« befahl der Teppichhändler und verfiel in Schweigen.
    Die Stille in der Bar Zach war geladen und zeremonienhaft.
    Der Ton des Fernsehers war abgedreht. Alle waren da außer dem Lehrer und dem Eseltreiber, die schon von niemandem mehr vermißt wurden. Die Anwesenden warteten darauf, daß der Teppichhändler das Wort ergreifen würde. Noch immer hatte er sich seit dem Gerangel mit Marijken nicht gewaschen und schlürfte jetzt wichtigtuerisch seinen Tee, obwohl es gar nichts zu schlürfen gab, weil der Tee schon längst kalt war.
    Sowohl innen wie außen wies sein graues Gewand weiße, kreideartige Flecken auf. Als er daran dachte, was am Nachmittag bei Marijken geschehen war, grinste er. Die anderen hoben erwartungsvoll die Köpfe. Am liebsten hätte er gesagt: »Ich hab’s ihr richtig besorgt!« – aber die Feierlichkeit des Augenblicks ließ das, leider, nicht zu. Er kam sich klebrig vor, klebriger als die glasierten Äpfel des Apfelverkäufers, der brav in seinem Arbeitskittel mit dem roten Taschentuch um den Hals dasaß und wartete.
    Der Karrenlenker hielt schamvoll den Blick gesenkt. Der Apfelverkäufer lachte insgeheim über dessen grobe Dummheit: Er selber ging täglich in den Park, um dort seine Süßigkeiten zu verkaufen. Doch er war noch nie erwischt worden. Sein Geheimnis? Er verkleidete sich als Paravionaner; so entging er dem Teppichhändler und dessen Spionen. Sein Kopf war voll von den herrlichen Szenerien aus dem Park, und sein Hemd unter dem Kittel trug noch die Farbspritzer der Sonnenpalette.
    Die Geschäfte gingen übrigens sehr gut. Vor der Tür stand sein Baum und schlummerte langsam ein, nachts sammelten die Äpfel feinen Tau, der sich am Morgen in Zuckerglasur verwandelte, und dann waren sie zum Verkauf bereit.
    Vielleicht sollte er expandieren, Patent anmelden. Er verdiente Geld, aber langsam nur, und es würde dauern, bevor er sich seinen Traum-Ford kaufen konnte. Sich weiter mit einem fliegenden Teppich aus Morea zu behelfen war ein Ding der Unmöglichkeit: Die Zeit der fliegenden Teppiche war vorbei, sie waren aus der Mode. Dann könnte er sich ja gleich einen Simca kaufen.
    »Trotzdem, ich bleib dabei«, flüsterte ein Mann in sein Ohr,
    »der Golf GTI ist der beste.«
    »Ja, das glaubst du!« gab er zur Antwort und hatte ein nasses Ohr. »Aber du findest Grundig ja auch besser als Telefunken!«
    Es dämmerte, die Straßenbeleuchtung brannte, und auf der Hauptstraße räumten die Müllmänner gerade den Marktabfall weg. Was noch brauchbar gewesen war, hatten Abfallwegelagerer bereits weggetragen. Der Geruch salzigen Fischs und verfaulenden Fleischs hing in der Luft, Kartons lagen in verschiedenen Haltungen auf dem Bürgersteig verstreut, viele Müllsäcke waren von Katzen aufgerissen. Der Abend echote noch vom Geschrei der Marktleute. Zerquetschte Früchte lagen auf dem Boden verteilt und verreckten. Die Männer schrien, lachten und schleuderten die Säcke in den wartenden und brummenden Wagen. Ohne den Müll bot die Straße einen noch tristeren Anblick, wie eine Mutter, der man die Kinder genommen hatte. Die Snackbar an der Ecke war voll mit hungrigen Leuten, die im Schmalzdunst fette Happen hinunterwürgten, mit

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