Paris ist eine Messe wert
nicht verletzt seien, nur die Schwarte sei geplatzt, weshalb ich soviel Blut verloren hätte. Auf mein Verlangen reinigte er die Wunde mit Branntwein, und ich kam auf meinem Lager erst wieder zur Besinnung, als Miroul mich an den Schultern hochzog und mir zu Trinken einflößte. Das Zimmer war inzwischen von Kerzen erleuchtet und erschien mir ganz fremd. Doch dann sah ich Monsieur de Rosny sehr bleich in seinen Laken, und neben ihm das weiße Banner Mayennes, dessen Schaft er trotz seiner Schwäche an sich drückte. Seine Gefangenen hockten stumm auf einem Teppich in der Bettgasse, und nur Monsieur de Sigogne redete, redete.
Ich versuchte zu verstehen, was er sagte, doch es gelang mir nicht, und ich dachte, daß ich wohl noch nicht ganz bei Sinnen sei. Worin ich irrte, denn gleichzeitig verstand ich sehr gut, was Miroul mir über den Angriff der wallonischen Lanzenreiter zu erzählen wußte. Und weil ich die nächsten zehn Tage mit Monsieur de Sigogne zusammenleben sollte, betrachtete ich ihn neugierig.
Es wäre an dem Mann nichts Bemerkenswertes gewesen, hätte Mutter Natur ihn nicht mit einer so großen, dicken Nase ausgestattet, daß er sie gleichsam vor sich her trug, und trat er durch eine Tür, sahen die im Raum Anwesenden als erstes seinen Zinken, bevor er selbst erschien. Im übrigen war er ein gutmütiger Tropf, der sich aber, wie Dummköpfe oft, so wichtig nahm wie keiner guten Mutter Sohn in Frankreich und den |167| Mund nicht auftun konnte, ohne einen Schwall Nichtigkeiten von sich zu geben mit einer Miene, als wären es Orakel.
Die anderen beiden, Monsieur de Chanteloup und Monsieur d’Aufreville, zusammen keine vierzig Jahre alt, kamen anscheinend noch immer aus dem Staunen nicht heraus, daß sie hier saßen, denn in Paris hatte Mayenne allseits Navarras Vernichtung angekündigt, immerhin war seine Armee in Ivry, wie schon in Dieppe, doppelt so stark gewesen wie die des Ketzers. Außerdem hatten sie den Pfaffenworten vertraut, daß der Herr ihnen den Sieg bescheren werde, weil sie doch sein rächendes Schwert seien. Und weil es hier keinen Priester oder Mönch gab, der ihnen erklärte, daß diese Niederlage nur eine »Prü fung « sei, welche der Herr ihnen auferlegt habe, um sie auf dem Weg des unvermeidlichen Triumphs des apostolischen und römischen Katholizismus desto stärker voranzuführen, blieben sie still und stumm wie steinerne Heilige, bis ihnen einer sagen würde, was sie zu denken hätten.
So jedenfalls deutete ich mir ihre sichtliche Sprachlosigkeit. Doch da trat Miroul mit meinem Pagen Nicolas herein, und beim Anblick dieses verzweifelten Kindes und seines verweinten Gesichts beendete ich meine Beobachtungen, hieß den armen Nicolas sich zu mir setzen, bemühte mich, ihn so gut ich konnte zu trösten und streichelte seinen dunklen Lockenkopf.
»Wie ist es, Nicolas«, sagte ich, »willst du lieber nach Hause? Sprich ungescheut. Wenn du gehen willst, gebe ich dir Geld und Eskorte.«
»Oh, nein, nein!« sagte er unter Schluchzen. »Das wäre feige. Und Guilleris im Himmel würde mich verachten, wenn ich wegliefe und mich daheim wie ein Hase im Bau verkröche. Nein, ich will kämpfen und groß werden, und mein Handwerk lernen! Lieber Tod als Schande!«
»Siorac«, sagte Rosny von seinem Lager mit schwacher Stimme, »an diesem Jungen habt Ihr einen guten Pagen, und einen von gutem Stamm.«
»Das will ich meinen«, sagte ich und strich über den Kopf von Nicolas, der sich durch mein Zureden, meine Liebkosungen und das unschätzbare Lob von Monsieur de Rosny allmählich beruhigte und schläfrig wurde nach all dem Weinen. Schon halb schlafend, schlang er mir einen Arm um den Hals und schmiegte sich an meine Seite, als wäre ich seine Mutter, deren |168| Stelle ich ja in gewisser Weise auch einnahm. Ich liebte ihn, ein so unerträglicher Schlingel er an seinen wilden Tagen auch sein konnte, die übrigens bald wiederkehrten, denn in seinem Alter vergißt man zum Glück noch leicht. Wollte Gott, Verletzung und Drangsal, die Larissas Tod mir verursacht hatte, wären auch so schnell erloschen, aber die Basis meines Lebens war nun ein für allemal erschüttert, und ich wußte nicht, ob mein häusliches Glück sich jemals wieder herstellen würde.
Mein Page schlief, Miroul ging, sich um Saint-Ange zu kümmern, der am Arm verwundet war, Monsieur de Rosny litt zu sehr, um den Mund aufzutun, und da die Herren Chanteloup und Aufreville in ihrer Ratlosigkeit beharrlich schwiegen, stellte
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