Parrish Plessis 01 - Nylon Angel
eine alte, längst vergangene Welt; technisch waren sie aber auf dem neuesten Stand.
In dem Raum neben der San-Einheit stand ein riesiges Bett, in dem wohl ganz Torley Platz gefunden hätte. Es war mit einer weißen Spitzendecke und einem Federkissen bezogen.
Ich inspizierte das Zimmer kurz, schloss alle Türen und Fenster und machte es mir auf dem Bettvorleger bequem. Innerhalb weniger Sekunden fiel ich in einen tiefen Schlaf.
Irgendwann in den frühen Morgenstunden weckte mich ein leises Geräusch: das Flüstern von Stimmen. Ich brauchte einen Moment, um mich in der fremden Umgebung zurechtzufinden; dann stand ich auf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Von der Treppe aus konnte ich Anna und Daac sehen, wie sie in den Stühlen saßen und leise miteinander diskutierten.
Es war nicht meine Art, Leute zu bespitzeln, aber es schadete in der Regel nicht, wenn man gewisse Dinge in Erfahrung brachte. Außerdem waren einige Gelegenheiten einfach zu gut, um nicht genutzt zu werden.
»Wie lange wird es dauern, sie zu reproduzieren?«, fragte Daac gerade.
Anna Schaum fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Ihre Schultern hoben sich leicht. »Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich gehe gerade einige alte Aufzeichnungen durch. Aber die Teilungs-Sequenzen sind alle verschwunden. Meine Sicherungskopien haben sie ebenfalls mitgehen lassen. Zeit… Das hier wird viel Zeit in Anspruch nehmen.«
»Aufzeichnungen?«
»Es sind einige übrig geblieben.«
»Welche?«
»Allgemeine Notizen über die Nebeneffekte, aber die gesamten Details sind gestohlen worden.«
»Sie wussten, was sie suchten.« Loyl stand auf und schritt im Raum auf und ab; seine künstliche Hand öffnete und schloss sich immer wieder. »Ich verstehe immer noch nicht, wie das passieren konnte. Sie können sich nicht reingehackt haben.« Er drehte sich wieder zu Anna um. »Kiora Barsch und ich waren die einzigen, die hier Zutritt hatten. Richtig?«
Anna schien unter dem Druck seines Blickes zu schrumpfen. »Natürlich. Wer denn sonst? Es muss irgendwann passiert sein, als ich hier alleine war.«
Daac nickte zustimmend und setzte seine ziellose Wanderung fort.
»Loyl, ich weiß nicht, ob ich damit weitermachen kann.«
Daac blieb abrupt stehen und setzte sich neben sie. »Natürlich kannst du!« Er packte sie fest, als wolle er sie schütteln. Es kostete ihn sichtlich Mühe, seine Stimme ruhig zu halten. »Würdest du dich besser fühlen, wenn jemand hier bei dir wäre – dauerhaft?«
»Nein!« Ihre Stimme klang plötzlich scharf. »Ich will niemanden hier haben.« Sie schmiegte sich an ihn wie ein kleines Mädchen. »Ich habe ja immer noch Lila.«
Der Intimus erschien wie auf Kommando und machte sich daran, die Teller abzuräumen.
Daac setzte Anna auf seinen Schoß und drückte sein Gesicht fest an ihres.
Mir zog sich der Magen bei diesem Anblick zusammen.
Ich entfernte mich wieder von der Treppe und zog mich in mein Zimmer zurück, wo ich den Rest der Nacht verbrachte, angeekelt von Daacs hypnotischer Anziehungskraft auf Frauen. Und ich fragte mich, worüber die beiden wohl gesprochen hatten.
KAPITEL ZWÖLF
Der süße Geruch von Sandelholz wehte in den Lagerraum des Emporium, wo ich vor einem Spiegel saß und mich betrachtete. Ich erkannte die Frau im Spiegel kaum noch. Sie trug ein geschmackloses Kleid mit einem Blumenmuster – ein kleines Markenetikett wies das Ganze als eine Art Kaftan aus. Sie sah wie eine Qualle aus.
Daac hatte mir vorgeschlagen, neue Klamotten von einem weiteren Freund zu borgen, und zwar etwas, das nicht typisch für mich war. Auf der Fahrt von Anna Schaums Anwesen in die Stadt hatten wir kaum ein Wort miteinander gewechselt, schon gar nicht über die vergangene Nacht.
Den Ringen unter seinen Augen nach zu urteilen, hatte er genauso wenig Schlaf bekommen wie ich, nur aus anderen Gründen natürlich.
Das Einzige, was mich daran gehindert hatte, einfach aus dem Landhaus zu verschwinden, war die Gewissheit, dass Anna Schaums Sicherheitseinrichtungen nahezu perfekt waren. Außerdem fehlte mir meine Ausrüstung. Bereits der Gedanke daran, wie verletzlich ich ohne sie war, bereitete mir Kopfzerbrechen. Keine gefälschte ID. Kein Hacker-Pack. Keine Waffen.
Nachdem mich Daac seinen Freunden vorgestellt hatte, ließ er mich in einem Hinterzimmer allein, damit ich mich ausruhen konnte. »Verändere deine Frisur irgendwie«, hatte er mich noch angewiesen.
Natürlich hatte er Recht, aber ich war zu stolz auf meine
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