Partials 1 – Aufbruch
will?« Wie üblich dachte Samm eingehend und ernst über die
Frage nach. »Ich glaube, das Gleiche wie du. Ich will wissen, was es mit allem
auf sich hat, und die Gründe verstehen. Ich will die Dinge in Ordnung bringen.
Nach allem, was geschehen ist, bin ich mehr denn je überzeugt, dass der Frieden …«
»… nicht möglich ist?«
»Eigentlich glaube ich, dass er unsere einzige Hoffnung ist.«
Kira lachte freudlos. »Du hast wirklich eine erstaunliche Begabung,
genau das zu sagen, was ich hören will.«
»Du lernst, was du kannst, und ich werde das Gleiche tun«, sagte
Samm. »Falls wir uns einmal wiedersehen, tauschen wir uns aus.«
»Wir teilen miteinander, was wir gelernt haben.«
»Genau.«
Sie warteten noch einen Moment lang, sahen sich an, jeder prägte
sich den anderen ein, und für eine kurze Weile glaubte Kira den Link zu spüren,
der sie wie ein unsichtbarer Draht verband. Dann kehrten sie mit der Kleidung
und dem Benzin nach unten zurück. Samm wuchtete die Kanister ins Boot.
»Damit müsstet ihr bis nach drüben gelangen«, sagte er. »Immer
vorausgesetzt, der Motor spielt mit.«
Jayden startete die Maschine, die sofort ansprang. Er schüttelte
Samm die Hand. »Danke für deine Hilfe. Es tut mir leid, dass ich dich so unfreundlich
behandelt habe.«
»Schon gut, keine Ursache.«
Xochi gab ihm ebenfalls die Hand, dann war Marcus an der Reihe, der
Samm nur leicht berührte, ohne ihm in die Augen zu blicken. Kira stieg ins Boot
und verteilte die Hemden und Socken an alle, die sich umziehen wollten. Marcus
kletterte als Letzter hinein und löste die Taue.
»Wohin gehst du jetzt?«, fragte er Samm.
»Ich dachte, ich könnte mich verstecken, aber dazu ist es wohl zu
spät.« Der Partial blickte zu den Bäumen hinüber. »Heron ist schon da.« Kira
und die anderen fuhren auf und griffen nach den Waffen, doch Samm hob nur die
Schultern. »Sie hat noch nicht angegriffen. Ich weiß nicht, was sie plant.«
»Bist du sicher, dass du zurechtkommst?«, fragte Kira.
»Wenn sie mich töten wollte, dann hätte sie es längst getan.«
Jayden gab Gas, und das Boot entfernte sich von der Mole.
Kira beobachtete Samm, der in der Ferne kleiner wurde und
schließlich verschwand.
35
Der Motor gab sogar noch schneller den Geist auf als
jener, den sie auf dem Hinweg benutzt hatten, und sie mussten den größten Teil
der Strecke rudern. Die Strömung trug sie nach Osten, und sie sahen die Insel
lange bevor sie sich ihr tatsächlich nähern und an Land gehen konnten.
Inzwischen war es Nacht geworden. Sie nutzten ein altes Strandhaus als
Unterschlupf, um ein paar Stunden Schlaf zu finden, ehe sie sich wieder auf den
Weg machten. Beim ersten Tageslicht suchte Kira nach Nahrung, doch die Dosen in
der Küche waren aufgequollen, und das Essen darin stank nach Verwesung, als sie
trotzdem eine Büchse öffneten. Schließlich suchten sie nach Karten und fanden
vor einem zusammengebrochenen Bücherregal einen Straßenatlas. Eine detaillierte
Karte von Long Island gab es nicht, nur eine Umgebungskarte von New York, aber
das war besser als nichts. Kira erkannte genügend Namen, um sich zu
orientieren, und hoffte, die Straßenschilder in den Orten könnten ihr helfen,
sich zurechtzufinden.
Bevor sie aufbrachen, verteilten sie die Waffen, die sie noch
besaßen – ein Gewehr, eine Schrotflinte und zwei Pistolen –, und wanderten
schweigend, weil sie sich vor der Stimme und den
Streifen der Abwehr hüten mussten. Kira trug die Spritze so vorsichtig wie möglich.
Sie hatte den Glasbehälter in mehrere Hemden gewickelt und sich um die Hüften gebunden.
Einstweilen betete sie stumm, ihr möge noch genug Zeit bleiben, um Arwen zu retten.
Gleichzeitig spähte sie in die Schatten, ob dort irgendwelche Gefahren
lauerten.
Nachdem sie knapp eine Stunde unterwegs waren, erkannte Kira die
Gegend wieder. Weite Bereiche der Insel sahen einander zum Verwechseln ähnlich – verfallene Häuser, die unter Kudzuranken verschwanden und von Bäumen umgeben
waren. Irgendwie kam ihr die Straße jedoch bekannt vor. Vielleicht waren es die
Kurven und die Art und Weise, wie es aufwärts und wieder abwärts ging. Sie war
nicht ganz sicher. Schließlich blieb sie stehen und sah stirnrunzelnd zum Wald
hinüber.
»Wir waren schon einmal hier.«
»Wir sind nicht abgebogen«, widersprach Jayden. »Wir sind bestimmt
nicht im Kreis gelaufen.«
»Nicht heute Morgen«, erklärte Kira. »Ich meine … dort!« Sie deutete
auf ein Haus, das abseits von
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