Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen
Mann saß starr da und schwieg. Sie gab nicht nach.
»Warum sagst du nichts? Du kannst es doch ruhig zugeben?«
Sie variierte den Tonfall der Fragen. Zwischen Aggression und gespieltem Verständnis. Sie entwarf Szenarien, was sie alles machen würde, würde er nicht gestehen. Dann, was sie alles nicht machen würde, würde er gestehen.
Nichts führte zu einer Reaktion bei dem Mann. Er saß nur da. Er dachte, ich muss nur eine Terrornacht überstehen. Um fünf Uhr kommt das Taxi. Das Flugzeug fliegt um 6.30 Uhr. Dann habe ich das zweiwöchige Gastspiel. Danach müsste der Druck aus der Sache draußen sein. Ich habe keine Lust mehr auf die Debatten. Sage ich, es war was, ist die Scheiße am Dampfen. Sage ich, es war nichts, will sie mir beweisen, dass ich lüge. Es ist sinnlos. Absolut sinnlos, das Spiel immer wieder durchzuspielen.
Also schwieg er weiter.
Nach zwei Stunden sagte sie, schon leicht heiser: »Wenn du heimkommst, habe ich deine Sachen schon gepackt. Dann verschwindest du bitte. Das ist ja das Letzte! Sitzt der da und redet nicht mehr. Mit mir nicht!«
Sie entwich in das Schlafzimmer und sperrte die Türe hinter sich ab.
Er saß da. Immer wieder dieser Affenzirkus, dachte er. Dann schoss es ihm ein: Wieso Affen? Wieso Zirkus? Affen sind doch sicher nicht so sehr in Ritualen verhaftet. Und Zirkus? Zirkus ist etwas ganz anderes.
So saß er da, bis er wegdöste und vom Läuten des Taxifahrers geweckt wurde.
Der Entertainer liebte den Zirkus. Von Kindesbeinen an. Von dem Tag an, als er zum ersten Mal dieses bunte Zelt gesehen hatte, die Wagen rundherum und einen ihm neuen Geruch wahrnahm. Das Kind hatte wohl gehofft, dass dieses Zelt für immer stehen bleiben würde und war daher richtig erschrocken, als eines Tages wieder nichts da war als die ramponierte Wiese zwischen den Häusern.
Dann war es endlich so weit, dass der große Bruder ihn in einen wieder einmal gastierenden Zirkus mitnahm, in die letzte Reihe auf dem »zweiten Platz«. Von dem Tag an wusste er, welch wundersame Dinge in so einer Manege passierten. Fliegende Menschen blieben ihm in Erinnerung, ein Motorrad fahrender Bär und natürlich die angemalten Spaßmacher. Er hörte zum ersten Mal in seinem Leben das Wort »Clown« und wusste bis zu den späteren Irritationen »Rechtsanwalt«, »Lehrer« oder »Tropenforscher« ganz genau, was er einmal werden wollte.
Als Halbwüchsiger begriff er, dass es möglich war, sich zwanzig Minuten nach Beginn der Vorstellung einen Gratis-Einlass zu erbetteln. Bei Fehlversuchen – die gab es manchmal auch – ging er todtraurig nach Hause.
Dann kam die Zeit, als er sich für jeden Zirkus, der ihn interessierte, eine Eintrittskarte kaufen konnte. Da ihn alle interessierten, wurde er geradezu zum Fachmann.
Als es so weit war, dass die Pressechefs der großen Zirkusse ihn gerne einluden, in der »Galapremiere« in der Loge zu sitzen, sah er sofort, dass der kleine Junge aus der ungarischen Schleuderbretttruppe mittlerweile zum Boss geworden und seinerseits seinen Sohn nach dem zweifachen Salto auf den Schultern fing.
Es waren ihm natürlich auch die Problematiken dieses Gewerbes bewusst geworden. An Motorrad fahrenden Bären hätte er keine Freude mehr gehabt. Aber die und Ähnliches gab es ja kaum mehr. Die grundsätzliche Verdammung von Tierdressuren beurteilte er allerdings immer differenziert. Denn, so dachte er, die menschliche Gesellschaft hat eine erstaunliche Gleichmut in der Hinnahme von Menschendressuren, von Fließband bis – und jetzt fiel ihm immer eine lange Reihe von Tätigkeiten ein, die er einem Tier niemals zumuten wollen würde.
Fanatische Tierschützer brachte er in Wallung, weil er zum Beispiel vermutete, die Raubtiere im Zirkus hätten es gut, die kriegten täglich ihr Fleisch, dürften durch Reifen springen und ersparten sich die anstrengende Jagd an dreckigen afrikanischen Flussufern, müssten keine Antilopen totbeißen und sich mit Artgenossen in Lebensgefahr um die Beute balgen. Er meinte das nicht ernst, aber die durch derartige Aussagen erzielte Empörung machte ihm die Sinnhaftigkeit der Provokation bewusst. Was Freiheitsdressuren von Pferden anlangt, hatte ihm ein großer Tierkundler die Argumente gelehrt. Pferde hätten an dem Ringelreihen im Manegenrund Freude, ganz zum Unterschied zu den Sprüngen über Hürden, die ihnen um Geld reitende Tierquäler zumuteten.
Der Entertainer war diesmal in die Schweiz geflogen, als ein Zirkus, auf den dieses Land stolz war,
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