Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen
Tageszeitung mit sich herum. In regelmäßigen Abständen las er die Besprechung einer Premiere abermals. Er hatte – wie schon einige Male – an dem angesehenen Theater eine mittlere Rolle gespielt, hatte die eine oder andere lobende Erwähnung genossen, noch nie aber einen Text wie diesen:
»In der Rolle des jungen Rebellen spielt sich ein Ausnahmetalent in den Vordergrund … Er vereinigt intellektuelle Kontrolle des Textes mit atemberaubender Körperlichkeit … die Entdeckung der noch jungen Saison …«
Das nahm dem jungen Mimen die Luft.
Am späten Abend ging er in den wunderbaren, alten, nach feuchtem Moder riechenden Weinkeller, in dem er und seine Kumpel sich seit den Zeiten der Schauspielschule trafen. An dem gewohnten Tisch saß nur ein Kollege. Der empfing ihn gleich mit: »Hast du geles–?«
»Ich kann’s schon auswendig.«
Der Kollege war Mitglied einer Off-Gruppe, die sich einen Namen gemacht hatte.
»Über uns schreibt der auch immer sehr gut.«
»Kennst du den?«
»Dort sitzt er.«
Der Kollege dirigierte den Blick des Schauspielers in eine schräg gegenüberliegende Ecke. Dort gab es seit eh und je einen größeren Stammtisch, dessen Gäste noch nie durch Prominenz oder sonst was aufgefallen waren.
»Der an der Schmalseite«, präzisierte der Kollege die Information.
Der junge Schauspieler sah einen sehr gepflegten Herrn mittleren Alters, der, von großen Gesten unterstrichen, das Wort führte.
»Soll ich mich bedanken? Oder ist das blöd?«, fragte der von diesem Mann so Gepriesene.
»Es ist blöd, aber es kann nicht schaden«, meinte der Kollege.
Als er ging, um seine Freundin von einem Abendkurs abzuholen, und der junge Schauspieler allein zurückblieb, fasste der sich ein Herz.
Er stand auf, ging zu dem großen Tisch und dessen Gesellschaft.
»Entschuldigen Sie, ich möchte nicht stören, ich möchte mich nur bei diesem Herrn bedanken, weil –«
Er kam nicht weiter. Der Kritiker war aufgesprungen und hatte mit ausladender Handbewegung einen Platz angeboten.
Gleichzeitig erklärte er den Anwesenden, dieser junge Mann sei das Beste, was er in letzter Zeit »auf unseren Bühnen« gesehen hätte. Man müsste sich unbedingt diese Vorstellung ansehen, sich den Namen merken und was es an extremen Nettigkeiten noch so gibt. Tonfall und Sprachmelodie machten dem jungen Schauspieler sofort klar, der Typ ist stockschwul. Die dezenten Lidschatten bemerkte er erst später.
Nachdem er Platz genommen hatte und in die allgemeine Kunstszenenplauderei einbezogen war, kam er langsam dazu, die Runde zu beurteilen. Es war keineswegs ein Schwulenstammtisch.
Da war ein Architekt, eine Zahnärztin, ein Bildhauer, eine Redaktionssekretärin, also Existenzen querbeet. Was sie offenbar vereinte, war das Interesse an den brillanten, auch witzigen und spöttischen Ausführungen des schwulen Theaterkritikers. Dessen Soli waren in der Tat unerschöpflich, amüsant und substanziell. Der junge Schauspieler hörte mit Interesse und Vergnügen zu und freute sich, als er – nahe der Sperrstunde – erfuhr, er sei gerne an diesen Tisch wiedergebeten. Es wäre von dieser Clique wohl meist wer da, so gut wie immer alle am Donnerstag. Der junge Schauspieler beschloss, sich in diese Runde einzuklinken.
Er stand Schwulen völlig unbefangen gegenüber. Er hatte natürlich schon viele kennengelernt, war auch indirekt oder direkt angebaggert worden, hatte aber kein Vorurteil, nur Desinteresse. Desinteresse im umfassenden Sinn. Über Tuntenwitze konnte er lachen. Aber eben auch nur, wenn sie sehr gut waren.
Dieser Theaterkritiker bestach durch Bildung, Urteil und Engagement. Und als der junge Schauspieler zum ersten Mal – es sollten noch viele Male folgen – eine blonde Ballettschülerin an den Stammtisch mitbrachte, fand sie der schwule Kritiker »entzückend« und erkundigte sich, ob der »junge Mann« sich denn auch »anständig benehme«, widrigenfalls er es mit ihm »zu tun« bekäme.
Es entstand eine echte Freundschaft unter Ausklammerung des Privatlebens des schwulen Kritikers. Vom ersten Kontakt an hatte der junge Schauspieler begonnen, das Geschriebene des Kritikers genau zu verfolgen. Und er lernte einen Liebenden kennen. Diese Liebe wurde von den redaktionellen Dispositionen zielgerichtet, denn der Mann bekam nur in Ausnahmefällen Premieren der großen Häuser zugeteilt. Er war zuständig für die Szene, für die Kleinbühnen. Denen schrieb er über die Maßen begeisterte Beurteilungen, oft mit
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