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Passagier nach Frankfurt

Passagier nach Frankfurt

Titel: Passagier nach Frankfurt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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dieser Kinder war die Erbschaft ihres Gesichtes, ihrer Nase und ihres Halsansatzes auf ihn und seine Schwester Pamela gekommen. Er fragte sich, ob die junge Frau, die ein Rauschmittel in sein Bier getan und ihn aufgefordert hatte, ihr seinen Umhang zu leihen, und die sich als in tödlicher Gefahr befindlich dargestellt hatte, wenn er nicht tat, was sie verlangte, vielleicht mit ihm verwandt war. Etwa eine Cousine fünften oder sechsten Grades, eine Nachfahrin der an der Wand abgebildeten Frau, die er gerade betrachtete. Vielleicht waren sie von gleicher Nationalität. Jedenfalls sahen sich ihre Gesichter ziemlich ähnlich. Wie aufrecht sie gesessen hatte in der Oper, wie gerade das Profil, das Kinn, die leicht gebogene Adlernase war. Und diese Aura, die sie umgab.
     
    II
     
    «Hast du Sie gefunden?», fragte Lady Matilda, als ihr Neffe in den weißen Salon zurückkehrte, wie sie ihr Wohnzimmer gewöhnlich bezeichnete. «Sie hat ein interessantes Gesicht, nicht wahr?»
    «Ja, und sie ist auch sehr gut aussehend.»
    «Es ist viel besser, interessant zu sein als gut aussehend. Aber du bist nie in Ungarn oder Österreich gewesen, oder? So jemanden würdest du wohl in Malaysia nie treffen. Sie würde niemals dort an einem Tisch herumsitzen und kleine Notizen machen oder Reden korrigieren oder so was. Sie war ein wildes Geschöpf, allen Berichten zufolge. Auch wenn sie wunderbare Manieren hatte. Sie war wie ein Wildvogel. Leider wusste Sie nicht, wann Gefahr lauert.»
    «Wieso weißt du so viel über sie?»
    «Oh, ich muss zugeben, ich war keine Zeitgenossin. Ich wurde erst einige Jahre nach ihrem Tod geboren. Dennoch habe ich mich immer für sie interessiert. Sie war abenteuerlustig, weißt du. Äußerst abenteuerlustig. Sehr seltsame Geschichten wurden über sie erzählt, von Dingen, in die sie verwickelt war.»
    «Und wie hat mein Urururgroßvater darauf reagiert?»
    «Ich glaube, es hat ihn zu Tode geängstigt», antwortete Lady Matilda. «Man sagte jedoch, dass er ihr sehr zugetan war. Übrigens, Staffy, hast du jemals ‹Der Gefangene von Zenda› gelesen?»
    «Nun, sicher, das klingt bekannt – es ist der Titel eines Romans.»
    «Ich dachte, du wüsstest nichts darüber, denn es war lange vor deiner Zeit. Als ich ein junges Mädchen war – da war das unsere erste Begegnung mit dem Romantischen. Keine Popsänger oder Beatles. Nur ein romantischer Roman. Als ich jung war, durften wir keine Romane lesen. Jedenfalls nicht morgens. Höchstens am Nachmittag durfte man sie lesen.»
    «Was für merkwürdige Regeln», befand Sir Stafford. «Warum war es verboten, am Morgen Romane zu lesen, am Nachmittag jedoch nicht?»
    «Nun, am Morgen sollten junge Mädchen etwas Nützliches tun. Die Blumen arrangieren oder die silbernen Bilderrahmen putzen, weißt du. All diese Dinge, die wir Mädchen so taten. Ein bisschen mit der Gouvernante lernen – all solche Sachen. Am Nachmittag durften wir uns hinsetzen und ein Buch mit Geschichten lesen, und ‹Der Gefangene von Zenda› war eines der ersten, das uns in die Hände fiel.»
    «Eine nette, anständige Geschichte, nehme ich an? Ich glaube, ich erinnere mich daran. Vielleicht habe ich es sogar gelesen. Alles ist sehr unschuldig, nehme ich an. Nicht zu erotisch?»
    «Sicherlich nicht. Wir hatten keine erotischen Bücher. Wir hatten romantische Bücher. ‹Der Gefangene von Zenda› war sehr romantisch. Man verliebte sich üblicherweise in den Helden, in Rudolf Rassendyll.»
    «An den Namen glaube ich mich auch zu erinnern. Ziemlich blumig, nicht wahr?»
    «Nun, ich glaube. Es war ein ziemlich romantischer Name. Zwölf Jahre muss ich alt gewesen sein. Ich erinnerte mich daran, als du nach oben gingst, um dir das Porträt anzusehen. Das von Prinzessin Flavia», fügte sie hinzu.
    Stafford Nye lächelte ihr zu.
    «Du siehst gerade jung und rosig und sehr sentimental aus», sagte er.
    «Nun, so fühle ich mich auch. Die jungen Mädchen heutzutage kennen solche Gefühle gar nicht. Sie sinken dahin vor Liebe, oder sie fallen in Ohnmacht, wenn einer Gitarre spielt oder mit sehr lauter Stimme singt, aber sie sind nicht sentimental. Ich war allerdings nicht in Rudolf Rassendyll verliebt. Ich war in den anderen verliebt – in seinen Doppelgänger.»
    «Er hatte einen Doppelgänger?»
    «Aber ja, den König von Ruritanien.»
    «Ach, natürlich, jetzt erinnere ich mich. Daher kommt das Wort Ruritanien: Es wird immer überall eingeworfen. Ja, ich glaube, ich habe es gelesen. Der König von

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