Passionsfrüchtchen
bekommen hatte. Sie hatte sich daraufhin verhaspelt und herumgestottert.
„Ich meine, ich bin wirklich gerne mit dir zusammen, aber wenn du in meiner Nähe bist, kann ich … ich meine, wenn du mich berührst, dann …“
Ihre unbeholfene Aufrichtigkeit war ihm zu Herzen gegangen, und eine neue Woge der Zuneigung hatte ihn überflutet. Es waren Momente wie diese, die es ihm so schwer machten, sein neu gewonnenes Glück aufs Spiel zu setzen, indem er ihr die Wahrheit sagte. Aber es half nichts. Er dachte an Andrés Worte und wusste: Je länger er wartete, umso schlimmer wurde es. Er musste es ihr sagen. Und zwar nicht irgendwann, sondern bald. Heute Abend.
Sven holte Nina wie verabredet ab und fuhr mit ihr in Richtung Medienhafen. Sie fanden einen Parkplatz nicht weit vom Restaurant. Nachdem sie an einem Tisch Platz genommen hatten, studierten sie zunächst die Speisekarte.
„Hast du schon etwas gefunden?“, fragte er nach ein paar Minuten.
„Ich glaube, ich nehme das Steinpilzrisotto.“
Sie einigten sich auf einen gemeinsamen Vorspeisenteller. Dazu suchte Sven einen Vino Nobile de Montepulciano aus und bestellte noch eine große Flasche Wasser. Als der Kellner kam, probierte Sven den Wein und nickte. Der Kellner goss für beide etwas Rotwein ein, öffnete die Flasche Wasser, schenkte ein und entfernte sich wieder. Sven hob sein Glas, und Nina erwiderte. Doch dann passierte ihr ein Missgeschick. Als sie ihr Glas zum Mund führen wollte, kippte das Glas in ihrer Hand plötzlich um. Der gesamte Inhalt entleerte sich auf ihre Bluse und über ihr Dekolleté.
„Oh nein!“ Nina war entsetzt.
Mitten auf ihrer Brust zeichnete sich ein riesiger Rotweinfleck ab. Geistesgegenwärtig stellte Sven sein Glas ab und reichte ihr seine Serviette. „Nimm das und tupfe es ab“, sagte er.
Sie mühte sich mit der Serviette, aber es war vergeblich. Die Bluse war durchtränkt. Da half auch kein Trockenreiben.
Sie ärgerte sich. „Tut mir leid, dass ich so ein Tollpatsch bin. Was machen wir denn jetzt? So kann ich hier nicht sitzen bleiben“, sagte sie sichtlich zerknirscht.
„Da hast du wohl recht.“
Sven winkte den Kellner heran und stornierte die Bestellung. Der Kellner weigerte sich zunächst und behauptete, die Vorspeise sei schon angerichtet und könne nun nicht mehr weiter verkauft werden. Sven drückte ihm ein paar Scheine in die Hand und meinte, die Angelegenheit sei damit wohl erledigt. Dann stand er auf.
„Bringst du mich nach Hause, damit ich mich umziehen kann?“
„Nein“, antwortete er. „Ich glaube, wir fahren am besten zu mir.“
Nina sah ihn entgeistert an. „Aber bis zu dir ist es doch viel zu weit. Zu mir ist es viel näher.“
„Nein“, bekräftigte Sven. „Ich wohne gleich … ich habe eine Zweitwohnung hier in der Stadt. Ist nur ein Katzensprung. Wir stecken deine Bluse in die Waschmaschine und ich leih dir solange ein Hemd von mir. Bist du mit Pizza einverstanden? Einen schönen Rotwein habe ich sicher auch noch irgendwo.“
Nina nickte.
Als sie über die Kniebrücke fuhren, entschuldigte sie sich nochmals wegen ihrer Ungeschicklichkeit und dafür, dass sie den Abend verdorben hätte.
„Wieso verdorben?“, fragte er und zog eine Augenbraue hoch. „Ich finde die Vorstellung, dass wir uns nicht den halben Abend lang steif in einem Restaurant gegenübersitzen müssen, sondern du nur mit einem Hemd von mir bekleidet gemütlich eine Pizza verspeist, hat durchaus ihren Reiz.“
Nina lachte. Keine zehn Minuten später waren sie am Kaiser-Friedrich-Ring angekommen. Sie fuhren in die Tiefgarage, gingen zum Treppenhauszugang und nahmen den Fahrstuhl zur obersten Etage. Vor der Wohnungstür angekommen, hielt Sven ihr die Tür auf.
„Willkommen in meinem bescheidenen Reich.“
Auf dem Klingelschild neben der Tür las sie S. Sonntag. „Ich dachte, du wohnst hier“, sagte sie erstaunt.
„Tu ich auch. Wieso?“, fragte er überrascht, als ob ihm der Name auf dem Klingelschild gänzlich unbekannt wäre.
„Da steht aber Sonntag auf dem Schild. Oder führst du ein geheimes Doppelleben?“
Bevor er etwas antworten konnte, stand Nina jedoch bereits im Flur. Der Anblick ließ sie ihre Frage vergessen. „Das ist ja ein richtiges Entree“, staunte sie. „Und so viele Türen! Wohnt hier noch jemand?“
Der Flur war groß, rechteckig geschnitten und mit schwarz-weißen Fliesen ausgelegt, aber völlig unmöbliert. Noch nicht einmal eine Garderobe gab es. Sechs Türen gingen von ihm ab.
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