Passionsfrüchtchen
Frau in Cannes, sein erster Kuss, der Sex in seinem Wagen, das Klingelschild an seiner Wohnung, der Golfplatz, ihr Einkaufsbummel, die blonde Frau in Cannes … Sie war nicht seine Tante, schoss es ihr durch den Kopf. Das war ein Job gewesen. Bestimmt hatte er sie nicht nur ausgeführt. Er hatte mit ihr geschlafen. Mit ihr und wahrscheinlich mit tausend anderen. Hatte mit ihnen das Gleiche getan wie mit ihr. Sie stellte es sich vor. Nein! Sie wollte nicht daran denken. Es war zu grausam. Sie merkte, wie ihr übel wurde.
„Bitte entschuldige.“ Sie stürzte ins Bad und schaffte es gerade noch, den WC-Deckel anzuheben, als sich ihr Mageninhalt bereits keuchend in die Toilette entleerte. Sie rang nach Atem. Schnell spülte sie ihren Mund aus und wollte zurück in die Küche gehen. Doch Sven fing sie im Flur ab.
„Geht es wieder?“
Nina nickte. Sie ließ sich von ihm ins Wohnzimmer führen. Sven goss ihr einen starken Brand ein.
„Hier.“ Er hielt ihr einen Grappa hin. „Trink das.“
Sie trank den Trester in einem Schluck. Er brannte scharf in ihrem Hals. Unwillkürlich schüttelte sie sich. Gleich darauf jedoch spürte sie, wie der Alkohol im Magen ankam und sich von dort eine wohltuende Wärme in ihr ausbreitete. Sie blickte Sven ins Gesicht.
„Hast du mit ihr geschlafen?“
„Mit wem?“
„Mit der Frau in Cannes?“
„Ja, das habe ich.“
„Und gestern und vorgestern, das waren auch keine Geschäftstermine, oder? Da hast du auch …?“
„Ja.“
„Wie viele?“
„Was soll das? Glaubst du, das macht es besser? Es spielt keine Rolle. Ich habe es getan, weil ich Geld dafür bekommen habe.“
„Hast du mit ihnen das Gleiche getan wie mit mir?“
„Nina, bitte hör auf. Du quälst dich nur.“
„Nein!“ Sie ließ nicht locker. „Ich will es wissen. Wie viele waren es? Sag schon!“
„Was spielt denn das für eine Rolle?“ Er ging zum Fenster hinüber und sah auf die Straße. Dann drehte er sich um. „Na schön, es waren drei, wenn du es genau wissen willst. Je eine am Freitag, Samstag und heute Nachmittag. Fühlst du dich jetzt besser?“ Seine Stimme hatte sich erhoben. „Bitte entschuldige, ich wollte dich nicht anschreien. Ich glaube, ich bin nur wütend auf mich selbst.“ Er kam zu ihr zurück und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. “Ich will, dass du etwas weißt. Egal, was ich mit all den anderen Frauen mache, es hat nichts mit dir zu tun.“
„Wie meinst du das?“
„Nur du machst mich glücklich. All die anderen können mir gestohlen bleiben. Ich fühle nichts, wenn ich bei ihnen bin.“
„Nichts?“, wunderte sich Nina. „Das glaube ich nicht. Wie kannst du nichts dabei fühlen? Kannst du deine Gefühle etwa an- und ausstellen?“
„Oh bitte! Jetzt tu nicht so, als wenn du nicht weißt, wovon ich rede!“
Nina bemerkte, wie er seine Hände zusammenballte und gleich darauf tief durchatmete. Auch ihre Nerven waren angespannt. „Natürlich fühle ich etwas“, sagte er in versöhnlicherem Tonfall. „Aber das hat nichts mit meinen Gefühlen für dich zu tun. Es sind zwei völlig verschiedene Dinge. Die anderen sind mein Job. Ich verdiene mein Geld damit. Ich ficke sie und das war’s. Das hat nicht das Geringste mit meinen Gefühlen für dich zu tun. Es ist eben nicht das Gleiche.“
„Na schön. Zeig’s mir“, forderte sie ihn auf.
„Zeigen? Was soll ich dir zeigen?“
„Zeig mir, wie du es mit den anderen machst.“
„Du bist ja verrückt!“
„Wieso? Na los! Zeig es mir!“
„Das kann ich nicht.“
„Wieso nicht? Schlägst du sie oder was?“
„Nein. Ja. Kommt drauf an …“
Sie bemerkte, wie er sie ansah. Es war der verzweifelte Blick eines Menschen, der zusehen musste, wie sein letzter Schluck Wasser im Wüstensand versickerte. „Hattest du noch nie einen One-Night-Stand?“, fragte er schließlich.
„Doch. Ein Mal. Aber was hat das …?“
„Dann müsstest du eigentlich wissen, wie das ist“, unterbrach er sie. „Ist da für dich kein Unterschied, wenn du daran denkst, und wie es ist, wenn wir zusammen sind?“
„Doch“, gab sie kleinlaut zu. „Du meinst also, all die anderen Frauen, das sind alles praktisch One-Night-Stands für dich?“
„Es kommt dem jedenfalls sehr nahe. Eigentlich sind sie noch viel weniger als das.“
Für einen Moment sah es so aus, als hätte er sie überzeugt. Sie hatte die Augenbrauen zusammengezogen, die Stirn in Falten gelegt und einen abwesenden Gesichtsausdruck
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