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Passwort: Henrietta

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Titel: Passwort: Henrietta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ava McCarthy
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zufolge sollte sie es allerdings ja nicht wagen, diese Tatsache auch nur zu erwähnen. Sie beschloss, das Spielchen vorerst mitzuspielen.
    »Nicht allzu gut. Er ist im Krankenhaus. Ein Unfall.«
    Rousseau zeigte sich erstaunt. »Das tut mir leid. Der Straßenverkehr ist heutzutage ja so gefährlich.«
    Sie runzelte die Stirn. Wie viel wusste er wirklich bereits?
    »Was kann ich also für Sie tun, Harry?«
    Sie zögerte und fühlte sich seltsam verletzlich, wenn er sie mit ihrem Namen ansprach. In die Rolle von Catalina Diego zu schlüpfen war ihr um einiges leichtergefallen, als sich selbst zu spielen. Sie sah zu den Pokertischen und stimmte sich auf das Klacken der Jetons und das höfliche Murmeln der Spieler ein. Sie war sich der Umschläge in ihrer Handtasche mehr als bewusst, ebenso darüber, wohin ihr nächster Schritt sie führen könnte. Sie atmete durch und lächelte ihn an.
    »Ich würde gern spielen.«
    »Ah, die Spielernatur der Martinez’. Der Buy-in liegt jedoch leider bei fünfzigtausend Dollar.«
    »Das ist kein Problem.«
    Er sah sie kurz an, dann nickte er. »Dann wollen wir mal sehen, ob Sie so gut sind wie Ihr Vater.«
    Er führte sie an den Pokertischen vorbei, schüttelte dabei vielen Spielern die Hand, sprach alle mit Vornamen an und gab den perfekten Gastgeber ab.
    Im Gegensatz zum eher lockeren Dresscode im Kasino schien hier eher formelle Abendgarderobe angesagt zu sein. Smoking, gegeltes Haar und schmale, enganliegende Sonnenbrillen. Harry war froh um ihr cremefarbenes Seidenkleid.
    Rousseau steuerte den Tisch mit dem besten Blick auf das Aquarium an. Einige Schritte davor drehte er sich um und flüsterte ihr zu.
    »Sie verstehen, wenn ich Sie nicht vorstelle. Die Spieler sind millionenschwere Geschäftsfreunde, da tauscht man am Tisch nicht seine Lebensgeschichten aus.«
    Er sah ihr in die Augen. Harry nickte. Sie sollte also nicht ihren Vater erwähnen oder wo er letztlich gelandet war. Vorerst wollte sie sich darauf einlassen.
    Zwei weitere Schritte, und Rousseau war am Tisch und zog ihr einen Stuhl gegenüber dem Croupier zurecht, von dem sie einen direkten Blick auf die Aquariumswand hatte. Harry nahm Platz. Ein Schwarm metallisch-blauer Fische schoss durchs Wasser, wie eine Kompanie beim Exerzieren: rechts um, Kehrtwendung, vorwärts marsch. Der Hai war nirgends zu sehen.
    Harry nahm ihr restliches Bargeld aus dem Umschlag und legte die Scheine auf den Tisch. Der junge Mann links von ihr lächelte sie an, während sein Blick über ihren Körper streifte.
    »Eine schöne Frau«, sagte er. »Solche Pokerspieler mag ich am liebsten.«
    Er war Anfang zwanzig, sein Akzent klang eindeutig nach South London. Mit seinen blonden Stachelhaaren hätte er zu einer Boyband gehören können. Harry erwiderte das Lächeln und ließ den Blick über den Tisch schweifen. Zwei weitere Spieler waren anwesend, beides Frauen, beide ignorierten Harry.
    Der Croupier schob ihr zwei Jetonstapel hin, einen grauen und einen purpurfarbenen. Anders als die runden Jetons an den öffentlichen Tischen waren es übergroße ovale Scheiben, die den Spielen mit den hohen Einsätzen vorbehalten waren. Harry fasste nach dem grauen Stapel und ließ die Jetons durch die Finger klacken. Sie waren schwerer als die normalen Jetons und lagen besser in der Hand. Das Wort »Atlantis« war in verschnörkelter blauer Schrift auf die perlmuttartige Oberfläche graviert, dazu ihr jeweiliger Wert von eintausend Dollar. Die purpurnen Jetons waren jeweils fünftausend Dollar wert.
    Der Croupier ließ seine Hände vorschnellen und fächerte das Kartendeck auf. Dann schnippte er die Karten um, mischte sie flach auf dem Tisch, schob sie zusammen, mischte, hob ab und gab. Das Spiel war No Limit Texas Hold ’Em.
    Rousseau saß links vom Croupier neben der älteren der beiden Frauen; sie war in den Fünfzigern, ihr übergroßer Mund schien mit viel zu vielen Zähnen ausgefüllt zu sein. Sie flüsterte Rousseau etwas ins Ohr. Er antwortete in fließendem Französisch, was sich anhörte, als würde er mit ihr flirten. Harry sah weg. Ihr Vater hatte seinen spanischen Charme wohl ebenso eingesetzt.
    Sie hob die Ecken ihrer beiden verdeckten Karten an. Eine Sechs und eine Neun, zwei ungleiche Karten. Die Frau neben ihr setzte zur Eröffnung zehntausend Dollar. Harry sah kurz zu ihr. Sie war spindeldürr und hatte dunkle Ringe unter den Augen, als hätte sie seit einem Jahr nicht mehr geschlafen. Harry kaute auf ihrer Unterlippe herum. Sie hatte

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