Passwort: Henrietta
die wir gewartet haben. Dieses Mal sollten wir den Einsatz erhöhen.
Sal
Harry spürte einen dumpfen Schmerz in der Brust, als hätte sie eine alte Wunde aufgerissen. Der gute alte Dad. Sie sah ihn vor sich; sein entspanntes Lächeln, das braungebrannte Gesicht, die linke Augenbraue immer ein wenig keck nach oben gezogen, als wolle er sagen: »Wer, ich?«
Sie sah zu Jude. Er blinzelte auf den Bildschirm, las zum wiederholten Mal die Mail, als hätte er sie beim ersten Mal nicht verstanden. Sie kannte das Gefühl.
Mühsam wandte er den Blick ab und drehte sich ihr zu.
»Ich versteh es nicht«, sagte er. »Warum zum Teufel hat er das gemacht?«
Harry überlegte. Wie konnte man jemanden wie ihren Vater anderen verständlich machen? Er war Geschäftemacher, Gauner, jemand, der dem Glücksspiel und dem Risiko verfallen war; jemand, der keinerlei Gedanken daran verschwendete, welche Folgen sein Tun für andere hatte.
Sie zuckte mit den Schultern. »Weil er es konnte.«
Jude schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. »Aber er hatte doch so viel zu verlieren.«
»Das macht einen Teil des Reizes aus. Je riskanter das Spiel, umso besser.« Sie spielte am Stiel ihres Weinglases herum. »Er hat mal in einer Pokerpartie unser Haus gesetzt und verloren. Es war kein besonders tolles Haus, die Gegend war ziemlich wüst, aber trotzdem – es war unser Haus.«
Jude sah sie verständnislos an. »Was habt ihr gemacht?«
»Wir mussten ausziehen. Meine Mutter wohnte mit mir und meiner Schwester drei Monate lang in einer Bed-&-Breakfast-Pension.«
Harry war damals neun Jahre alt gewesen. Sie konnte sich noch gut an das heruntergekommene Gebäude in der Gardiner Street erinnern, an den Geruch von Kohl und Zwiebeln, der im Treppenhaus hing. Sie sah das wackelige Bett vor sich, das sie mit Amaranta geteilt hatte, und den dicken, schnaufenden Mann, der jeden Freitag gekommen war, um Geld von ihrer Mutter zu holen.
»Und wo war Ihr Vater?«, fragte Jude.
»In einer Suite im Jury’s Hotel. Er spielte dort Poker.«
Jude starrte sie lange an, dann deutete er auf den Bildschirm. »Ich war Ihnen dabei keine besonders große Hilfe, oder?«
Harry lächelte. »Nicht wirklich.« Dann dachte sie wieder an die versteckte Systempasswortdatei und kaute auf der Unterlippe herum. »Aber Sie könnten noch was für mich tun.«
»Oh?«
Sie zeigte auf den Bildschirm. »Ich weiß, was vor neun Jahren geschehen ist. Aber was geschieht jetzt? Was ist in den letzten paar Tagen geschehen, um das alles wieder aufzurühren?«
Sie beugte sich vor und musterte sein Gesicht. »Ich muss Felix’ aktuelle E-Mails sehen. Ich muss wissen, ob er neuere Sachen vom Ring abgefangen hat.«
»Aber er ist doch nicht mehr bei der IT -Sicherheit. Wie soll er da was abfangen?«
»Glauben Sie wirklich, dass er sein gesamtes Wissen und seine Macht einfach so aufgibt, ohne sich irgendwo einen Rückweg offenzuhalten? Ich wette, vor seinem Abschied aus der IT -Sicherheit hat er sich noch ein paar Hintertürchen eingebaut.«
»Aber die neuen Sicherheitstypen würden so was doch finden, oder?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt. Vergessen Sie nicht, er hat die Systeme eingerichtet. Nein, glauben Sie mir, er hat noch immer Zugang. Kein Wunder, dass er so entschieden dagegen war, dass ich hier rumschnüffle.« Eine Weile lang betrachtete sie ihn. »Und hier kommen jetzt Sie ins Spiel. Ich muss Felix’ aktuelle E-Mails sehen. Und dafür brauche ich sein Passwort.«
Er sah sie mit leerer Miene an. »Aber ich habe sein Passwort nicht.«
»Nein, aber Sie können es besorgen.« Sie beugte sich vor, verschränkte die Arme und sah ihn herausfordernd an. »Ich denke, Sie sind so weit, um ein wenig Social Engineering zu betreiben.«
[home]
26
S oso, mein alter Kumpel Jude bittet mich um einen Gefallen.«
Verschliffen und heiser kam Felix’ Stimme über die Lautsprechereinrichtung an Judes Handy.
Harry beugte sich näher heran. Sie saß am Schreibtisch in ihrem Arbeitszimmer. Jude schien das kleine Zimmer ganz auszufüllen.
Es war ihr Vorschlag gewesen, in ihre Wohnung zu gehen. Diese Phase des Hacks erforderte ein vertrauliches Umfeld.
»Kommt nicht so oft vor, dass einer von uns beiden dem anderen einen Gefallen tut, was?«, fuhr Felix fort.
Im Hintergrund waren dumpfe, dröhnende Geräusche zu hören, als hätte Felix den Anruf in einem riesigen Bienenstock entgegengenommen. Sie sah zu Jude. Angespannt starrte er auf das Handy, das zwischen ihnen auf dem
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