Jahr 2000 schwebte. Das Jahr des Sorohan-Deals.
Ihre Hand erstarrte, ihr ganzer Körper schien sich zu verkrampfen, und sie musste sich zwingen, nicht sofort nach Hause zu stürmen und sich zu verstecken. Dann dachte sie an die dunklen Straßen und die im Schatten liegenden Wege, die zwischen ihr und ihrer Wohnung standen. Sie klickte die Datei an und öffnete sie.
Laut Ruth Woods hatte Felix die Aktivitäten des Rings belauscht, indem er ihre E-Mails abgefangen hatte. Harry wollte darauf wetten, dass er diese Mails direkt in seinen Mailordner kopiert hatte. Sie durchsuchte das Archiv nach Mails, die von Leon Ritch stammten. Es gab Dutzende davon, und bei keiner war Felix der intendierte Empfänger. Ruth Woods hatte recht gehabt.
Harry öffnete die erste E-Mail. Sie war auf den 17. Januar 2000 datiert und an ihren Vater adressiert,
[email protected]. Etwas in ihr zog sich zusammen, als sie den Namen ihres Vaters las.
Sal,
Mercury Corp hat den KeyWare-Deal heute abgenickt. Noch keine öffentliche Bekanntgabe! Schnapp Dir KeyWare, und wir fahren den nächsten Riesengewinn ein.
Leon
Jude neben ihr wurde unruhig. »Ich kann es einfach nicht glauben, dass Felix etwas aufgehoben hat, das so belastend ist.«
Harry zuckte mit den Schultern. »Vielleicht meinte er, er müsste sich ein wenig absichern.«
Sie öffnete eine weitere Mail, diesmal auf den 28. April datiert.
Sal,
laut meiner Quelle hat Dynamix Software zur Betreuung ihrer Übernahmen JX Warner angeheuert. Erstes Ziel ist entweder Zephyr oder Sage Solutions. Halt die Augen auf!
Leon
Jude sprang fast auf.
Harry warf ihm einen Blick zu, bevor sie ihn wieder auf den Bildschirm richtete. »Was?«
»Dynamix. Ich war an all ihren Deals beteiligt. Vor Juli oder August ist bei der Sache nichts an die Öffentlichkeit gelangt. Woher hat dieser kleine Scheißer schon im April davon wissen können?«
Ein Gedanke durchzuckte Harry. »Sie haben für JX Warner gearbeitet?«
Er nickte, den Blick noch immer auf den Bildschirm gerichtet. »Ein paar Jahre. Nach dem Dynamix-Deal ging ich zu KWC .«
Ihr sackte der Magen nach unten weg, wie er es tat, wenn sie auf der Treppe eine Stufe verpasste. Sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen und musste gleichzeitig an Ruth Woods denken. Laut ihren Aussagen hatten die Insiderinformationen des Propheten immer mit von JX Warner betreuten Geschäften zu tun, weshalb die Polizei angenommen hatte, er müsse dort als Investmentbanker tätig gewesen sein. Und jetzt stellte sich heraus, dass der Typ, den sie um Hilfe angegangen hatte, exakt auf diese Beschreibung passte.
Na und? Es mussten zu der Zeit Dutzende von Investmentbankern bei JX Warner gearbeitet haben. Trotzdem gefiel es ihr nicht. Sie musterte Jude, der noch immer die E-Mail anstarrte.
»Fällt Ihnen bei dieser Mail noch was auf?«, fragte sie.
»Was?«
Sie klopfte mit dem Fingernagel gegen den Bildschirm und zeigte auf die Liste der Empfänger. Die E-Mail war an ihren Vater gerichtet, eine Kopie allerdings war auch an Jonathan Spencer gegangen. Es gab keinen Zweifel, dass er in die Sache verstrickt gewesen war.
Judes Miene verzerrte sich, als hätte man ihm soeben mitgeteilt, dass sein Hund gestorben war. »O Scheiße.«
Sie suchte seine Körpersprache nach Anzeichen von Verstellung ab. Ihr Vater hatte ihr beigebracht, Pokerbluffs wie ein Experte zu erkennen, und meistens konnte sie bei jedem sagen, ob er gerade log. Aber hier vermochte sie nichts Falsches zu erkennen, sein Bedauern schien aufrichtig zu sein. Dennoch, bei der JX -Warner-Koinzidenz klingelte es schrill, aber damit wollte sie sich später beschäftigen.
In den nächsten vierzig Minuten arbeiteten sie sich durch Leons übrige E-Mails. Das Ausmaß der Aktivitäten, die der Ring an den Tag gelegt hatte, war überwältigend. Bei einem Trade nach dem anderen hatten Leon, Jonathan und ihr Vater privilegierte Informationen ausgenutzt und dabei Millionen verdient. Als Harry mit der Maus über die letzte E-Mail fuhr, fühlte sie sich ausgelaugt. Und bislang hatte sie nichts über die Identität des Propheten erfahren.
»Einfach unglaublich.« Jude fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Er sah aus, als hätte man ihm mit dem Baseballschläger eins drübergezogen. »Der Verstoß gegen die ethischen Grundsätze, so eklatant.«
Harry sank gegen die Rückenlehne. »Ethische Grundsätze hatten für meinen Vater noch nie Vorrang, glauben Sie mir.«
»Die Leute meinen, Insiderhandel sei ein