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Passwort: Henrietta

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Titel: Passwort: Henrietta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ava McCarthy
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sicher, aber sie glaubte, laut aufgestöhnt zu haben.
    Er trat zurück, musterte sie mit besorgtem Blick und zögerte. Ein bestürzender Gedanke kam ihr.
    »Jage ich
dir
Angst ein?«, fragte sie.
    Er schluckte und überlegte, dann nickte er. »Ein bisschen.«
    Sie grinste. Sie konnte nicht anders. Seine Mundwinkel zuckten. Dann drückte er die Hand gegen ihren Rücken, zog sie dicht an sich heran und beugte sich erneut zu ihr. Diesmal war es ihm ernst mit seinem Kuss. Ihr wurde heiß, sie spürte seinen Herzschlag. Er ließ seine Zunge über ihre Unterlippe schnellen, reizte sie. Diesmal stöhnte sie ganz definitiv laut auf.
    Wieder löste er sich, und Harry öffnete die Augen. Ihr Gesicht war erhitzt, ihre Lider fühlten sich schwer an.
    Dillon lächelte, ein breites, träges Lächeln, und führte sie an der Hand in ihr Schlafzimmer – sacht, unter Rücksichtnahme auf die Schmerzen in ihrem Nacken und die brennenden Schnitte an ihren Händen. Und in der nächsten Stunde atmete sie seinen erdigen Geruch, sah gebannt seine Bewegungen, gefangen von seinem Rhythmus, in den sie gesogen wurde, bis er auch zu ihrem Rhythmus wurde und die Worte
das ist Dillon, das ist Dillon
ihr wie eine Beschwörungsformel durch den Kopf schwirrten, bis sie unter den Schauern, die ihren Körper erzittern ließen, verstummten.
    Danach, als sie ihm beim Schlafen zusah, die Finger einer Hand in ihre geschoben, musste sie daran denken, was der Prophet gesagt hatte.
    Sei klug. Andernfalls werden du und alle, denen du nahestehst, in Gefahr geraten.
    Sie sah Dillons Brustkorb, der sich hob und senkte, und lauschte seinem leisen Atem. In Gedanken strich sie ihm mit dem Finger über die dunklen Brauen und berührte die leicht gebogene Linie seiner Nase, dann zeichnete sie seine Lippen nach, sein Kinn, hinunter zu seiner Brust.
    Schließlich drehte sie sich weg und starrte an die Decke. Imogen hatte recht. Morgen würde sie ihren Vater besuchen.

[home]
    34
      
    H arry war noch nie in einem Gefängnis gewesen. Es war heller und wärmer, als sie erwartet hatte. Sie rutschte auf dem orangefarbenen Plastikstuhl herum, schlug die Beine übereinander, löste sie wieder.
    Sie sah zu den Stühlen an den Wänden des Warteraums. Die einzig andere anwesende Person war eine Frau über sechzig. Sie trug einen flaschengrünen Wintermantel.
    Harry massierte sich den Nacken, der zu verkrampfen drohte. Die Schnitte an den Händen heilten bereits, außerdem hatte sie genügend Make-up aufgetragen, um die schlimmsten Abschürfungen zu kaschieren.
    Sie sah auf ihre Uhr. Noch hatte sie Zeit, um sich wieder davonzumachen. Sie sah zu dem rundgesichtigen Beamten hinter der Glasscheibe neben der Tür. Er hatte sich einen Kugelschreiber hinters Ohr geklemmt und telefonierte, neigte dann leicht den Kopf, um ihr über den Brillenrand hinweg einen Blick zuzuwerfen. Aufmunternd lächelte er sie an. Harry erwiderte das Lächeln und sah weg.
    Über sechs Jahre lang hatte sie ihren Vater nicht mehr gesehen. Irgendwie war es ihr gelungen, diese Tatsache zu verdrängen und mit ihrem Leben zurechtzukommen. Jetzt allerdings war es an der Zeit, alles wieder auszugraben und sich dem zu stellen.
    Sie spielte mit der Schließe an ihrer Tasche herum. Sechs Jahre waren eine lange Zeit. Es hätte sie wahrscheinlich nicht umgebracht, wenn sie ihn hin und wieder besucht hätte. Sie zupfte an einem Niednagel an ihrem Daumen. Sie musste an die vielen Schwindeleien und vergessenen Versprechen ihres Vaters denken und versuchte, damit zu rechtfertigen, warum sie ihm so lange ferngeblieben war.
    Es fiel ihr eine ganze Menge dazu ein, unzählige Erinnerungen, aus denen sie nach Belieben auswählen konnte. Zum Beispiel damals, als sie sechs Jahre alt gewesen war und ihre Mutter im Krankenhaus gelegen hatte. Ihr Vater hätte sie von der Schule abholen sollen. Natürlich war er nie aufgetaucht. Sie hatte auf der Schulmauer gesessen, mit den Fersen gegen die Mauer geschlagen und gewartet, bis es fast dunkel geworden war. Noch gut konnte sie sich an das Gefühl des Verlassenseins erinnern, an ihre Angst, als fremde Passanten sie angestarrt hatten. Als ihr Vater schließlich erschien, die Taschen voll mit seinem Pokergewinn, hatte er sie hoch in die Luft gehoben und gesagt, er hätte sie doch glatt vergessen.
    Harry seufzte. Das Problem mit ihrem Vater war: Er glaubte, er habe nie etwas falsch gemacht. Er enttäuschte Menschen und war dann völlig verblüfft, wie sie darauf reagierten. Ihre Mutter

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