Pastetenlust
Müsste das zweite Band von oben sein“, er
deutete auf einen Stapel Kassetten, die neben dem Recorder lagen.
„Kann ich mir das Band ausborgen?“, Palinski war plötzlich
von dem unbändigen Willen erfüllt, ›seine Leiche‹ nochmals als lebendigen
Menschen zu sehen. Der Schauspieler war ihm natürlich bekannt, aber das Bild,
das er von ihm hatte, war blass, zu wenig konturiert.
Harry nickte nur zustimmend und verschanzte sich wieder
hinter seinen Kopfhörern.
Palinski nahm das Band an sich und verließ die Wohnung. Von
wegen früher schlafen. Vor dem Schlafengehen würde es noch ausgiebig
Fernschauen geben und vielleicht noch einige Anregungen zu seinem ersten
richtigen Fall.
Als er den Hof überquerte, sah er, dass in der Wohnung im
vierten Stock noch Licht brannte. Wallner war also auch noch am roboten. Warum
sollte es dem auch besser gehen.
4
Das Wetter hatte über Nacht total umgeschlagen.
Auf Sonne, wolkenlosen Himmel und Tageshöchsttemperaturen bis 21 Grad waren
eine dichte Wolkendecke, Regenschauer und die Notwendigkeit, sich warm
anzuziehen gefolgt. Bereits kurz nach sechs
Uhr hatten zwei Beamte den 61-Jährigen Unterstandslosen Wilhelm Wondrazek aus
seinem Verschlag in der Nähe des Heiligenstädter Wehrs abgeholt und zur
Befragung gebracht. Willi Wanderer, wie der am ›Restless legs Syndrom‹
leidende Sandler genannt wurde, war ein für seine nächtlichen Streifzüge durch
den 19. und die anliegenden Bezirke polizeibekannter Streuner. Ein herzensguter
Mensch, der schon mehr in Probleme geratenen Nachtschwärmern geholfen hatte als
umgekehrt. Ein kleiner Gauner ja, aber lediglich aus der Notwendigkeit des
Überlebens heraus. Vor allem niemals gewalttätig. Dementsprechend freundlich
gingen die Beamten mit Willi um und versorgten ihn zunächst mit Kaffee und
einer Buttersemmel. Wondrazek wusste nicht, um was es heute ging, hatte
allerdings einen vagen Verdacht. Im Augenblick zerbrach er sich aber nicht den Kopf
darüber und ließ sich das Frühstück gut schmecken.
Kurz nach sieben traf Wallner ein und überflog vorerst die
aktuellen Meldungen auf seinem Schreibtisch. Dabei schien ein Bericht sein
besonderes Interesse zu finden. Er las ihn ein zweites Mal, schüttelte
resigniert den Kopf und starrte einige Minuten lang ausdruckslos aus dem
Fenster. Dann erst ließ er Willi Wanderer zu sich bringen.
Der Inspektor hatte schon einige Male mit dem Mann gesprochen
und mehrere durchaus nützliche Hinweise von dem Original erhalten. Daher wollte
er auch so sanft wie möglich mit dem alten Mann umgehen.
„Willi, wie geht es Ihnen.“ Wondrazek empfand es als
wohltuend, dass Wallner sich nicht des im Umgang mit seiner Person sonst
üblichen, plump-vertraulich wirkenden, tatsächlich aber Geringschätzung
signalisierenden › d u‹ bediente.
„No, es ged so“, brummte er. „Oiso, wos kau i fia Si tuan,
Herr Obainspekta?“
Der derarts Beförderte
fischte ein Plastiksackerl mit zwei Tschiks aus der Schreibtischlade, die
unverkennbar Reste selbstgedrehter Zigaretten waren. Das Zigarettendrehen war
heute eine fast ausgestorbene Fertigkeit, die nur mehr wenige Personen so
perfekt beherrschten wie eben Willi Wanderer. „Diese Stummeln haben wir unter
einer Bank gefunden. Können Sie mir dazu mehr erzählen.“
Wondrazek dachte auch nicht eine Sekunde daran, dem Beamten
etwas vorzumachen.
„No jo, des woar so. Wia i di Hauptstroßn aufigaungan bi, siach i den Mau do sitzn. ” Unruhig rutsche er auf seinem Sessel hin und her. „Des wiad a längare Gschicht. Kau
i vuahea no aufs Haisl gehn?” Wallner nickte und Willi machte sich auf den Weg
zu dem ihm schon bekannten WC am Ende des Ganges . Der Polizist an der
Türe wollte den alten Mann begleiten, doch Wallner winkte ab. „Keine Angst, der
kommt schon wieder. ”
Wenige Minuten später bestätigte Wondrazek das von Wallner in ihn gesetzte
Vertrauen und nahm wieder Platz.
„Oiso, der Mau is
do gsessn und hot si net griad. I hob ma docht, wos hoda denn? Oiso hob i mia zu eam
gsetzt und mit eam gred.”
„Der Mann ist gesessen?”, wollte sich der Inspektor vergewissern. „Wie wir ihn gefunden haben, ist er nämlich auf der Bank gelegen .
Eingerollt wie ein kleines Kind.”
„Jo, dea is
gsessn. I hob mi a hingsetzt und a, zwa Zigaretterln
graucht. Tserscht hob i auf eam eigred wia auf a
kraunke Kua. Daun hob i bemeakt, dos ea nimma gotmed
hod. Nau, den Schreckn kenans Ihna
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