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Pastworld

Pastworld

Titel: Pastworld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Beck
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BibleMac hatte ein gutes Gespür für die Nachtschwärmer. Den einen oder anderen bettelte er um ein paar Pennys an, weckte seine Aufmerksamkeit, lenkte ihn ab und durchsuchte seine Taschen mit der Geschicklichkeit eines Hexenmeisters. Caleb sah ihm wie betäubt zu. Schmuckstücke, Schals, Brieftaschen, sogar eine dicke Rolle authentischer Pastworld Banknoten wurden mit einem Dreh des Handgelenks entwendet und verschwanden in BibleMacs oder Calebs Manteltaschen.
    »Mein Vater hat mir gesagt, ich soll wegrennen«, sagte Caleb plötzlich laut zu BibleMac.
    »Was?«, erwiderte BibleMac.
    »Ich sagte, mein Vater hat gesagt, ich soll wegrennen.« Caleb stolperte vorwärts, drehte sich um und lief plötzlich los. BibleMac rief ihm nach stehen zu bleiben, aber Caleb rannte unbeirrt mitten in den Nebel und die Dunkelheit hinein. BibleMac zögerte. Eigentlich sollte er den Jungen laufen lassen … Aber er wusste, dass er das nicht konnte und rannte hinter ihm her.
    Er lief über das Kopfsteinpflaster und ein paar Stufen hinunter. Vor sich hörte er das Geräusch von Calebs Stiefeln. Die Schritte gingen an einer Kirchenmauer vorbei und passierten einen Friedhof. Nasse Papierlaternen in Form von Totenschädeln hingen an einer Schnur am Geländer, ihre Kerzen waren erloschen. BibleMac holte Caleb ein. Er streckte die Hand aus und packte ihn so hart am Jackett, dass er stehen bleiben musste. Caleb fuhr herum. Fast wären sie zusammen auf den Kiesweg gefallen.
    »Wo willst du hin?«, fragte BibleMac atemlos.
    »Mein Vater hat gesagt, ich soll wegrennen, und ich bin weggerannt. Ich habe ihn mit zusammengeschlagenem Gesicht im Dreck liegen lassen.«
    »Er hat dir gesagt, du sollst wegrennen, weil er nicht wollte, dass dir was passiert. Du kannst nichts dafür. Wenn man dich für schuldig hält, den anderen Kerl umgebracht zu haben, dann bist du, wie gesagt, in echten Schwierigkeiten. Es ist nicht gut für dich, einfach wegzurennen! Was du brauchst, ist Schutz. Die Polizei wird dir nicht helfen oder dich beschützen, also bleibst du am besten erst mal bei mir.«
    »Wo gehen wir hin?«, fragte Caleb.
    »Hab ich doch gesagt: in die Bude von meinem Boss. Es ist ein Stück weg von hier, also lass uns gehen.«
    Als sie durch die belebten Straßen gingen, wurde der Himmel ein kleines bisschen heller. Die winterliche Morgendämmerung brach an. Zwischen den Nachtschwärmern war immer mal wieder ein Straßenfeger zu sehen.
    Zwei Männer hatten ihre Arme umeinandergelegt und sangen mit heiserer Stimme etwas über »Geisterchen«. BibleMac senkte den Kopf und schlüpfte zwischen sie, als wollte er mitsingen. Er passte seine Schritte ihrem torkelnden, betrunkenen Gang an. Rasch griff er mit der Hand in die nächste Manteltasche und ertastete mit den Fingerspitzen eine kalte lederne Brieftasche. Doch der andere Betrunkene bemerkte es, blieb ruckartig stehen und packte BibleMac fest am Kragen. Lallend von zu viel billigem Pastworld-Gin fing der Gaffer an zu schreien.
    »Polizei, he, Polizei, wo immer ihr auch seid. Hierher! Ich hab ’nen Dieb geschnappt, ’nen miesen kleinen Dieb!«
    BibleMac zog und zerrte und schaffte es, sich zu befreien. Er spürte, wie sein Kragen zerriss, als er sich aus dem Griff des Betrunkenen herauswand. Er rief Caleb etwas zu und gemeinsam rannten sie so schnell sie konnten los, um Abstand zwischen sich und die betrunkenen Gaffer zu bringen. Er hörte, wie sie »Halt!« riefen, aber niemand kümmerte sich darum. Die Nachtschwärmer in ihren fantasievollen Halloweenkostümen waren in viel zu guter Stimmung, um ein paar wegrennende Jungen zu stoppen. Bald hallte die Straße von all den Rufen der reichen Betrunkenen wider.
    »Hab wohl nicht richtig aufgepasst«, rief BibleMac, während sie weiterrannten.
    In der Nähe vom Strand bogen sie in eine von Mauern gesäumte Gasse ein. Plötzlich tauchten zwei rotgesichtige Bobbys vor ihnen aus dem Nebel auf und versperrten ihnen den Weg.
    Die Jungen kamen abrupt zum Stehen. »Nun, ihr zwei, ihr rührt euch nicht von der Stelle!«, sagte einer der Polizisten. »Man hat uns ein paar Raubüberfälle gemeldet, Taschendiebstähle bei Gaffern. Und außerdem hat es einen Toten gegeben, einen Mord. Der vermeintliche Täter ist ein Junge in eurem Alter. Wir müssen eure Papiere überprüfen, Burschen.« Ausdruckslos sah Caleb die Polizisten an. Er machte ein paar kleine Schritte rückwärts und drückte sich an die Mauer, um nicht umzufallen. Er hörte, wie die Schmuckstücke und die

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