Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
verschwand schließlich im Büro und Joana wandte sich an ihn.
»Ich glaube, es war Elenas Schrei, den wir gestern Nacht auf deinem Balkon gehört haben.«
»Bist du sicher?«
»Ziemlich sicher!«
»Na dann hab ich dieses Mal ja ein gutes Alibi«, meinte er ironisch, aber Joana ging nicht darauf ein.
»Ich hab gleich darauf auf die Uhr gesehen. Wenn sie es war, dann passierte es genau um 00.20 Uhr.«
»Das hast du hoffentlich auch der Guardia Civil erzählt.« Joana senkte den Blick auf ihre Fingernägel.
»Etwa nicht?«, fragte er verwundert.
»Kilian, das konnte ich nicht. Wenn herauskommt, dass ich bei dir im Zimmer war, könnte mich das meinen Job kosten!«
»Aber trotzdem«, wandte er ein, »die müssen das doch wissen. Denn wenn es ein Mord war, ist das doch die genaue Tatzeit. Dein Chef muss das ja nicht unbedingt erfahren.«
Joana bedeutete ihm leiser zu sprechen. »Das weiß ich doch auch, verdammt noch mal, aber was ist, wenn wir uns mit dem Schrei geirrt haben und es nur ein Tier war? Dann führen wir die Guardia Civil auf eine falsche Spur.«
Kilian schüttelte den Kopf. »Der Gerichtsmediziner wird den Todeszeitpunkt wohl auf eine oder zwei Stunden eingrenzen können, aber trotzdem, wenn das alles miteinander zusammenhängt – mein Bruder, deine Mutter, Elena –, dann blockierst du damit indirekt auch die Aufklärung der anderen Fälle.«
»Und den Fall meiner vermissten Schwester«, ergänzte sie.
»Wie meinst du das?«
Joana nickte, als ob für sie nun alles einen Sinn ergäbe.
»Kurz bevor dein Bruder starb, erhielt ich einen dubiosen Anruf – mit unterdrückter Nummer. Die Anruferin war ein junges Mädchen, das seine Stimme verstellte. Sie weinte die meiste Zeit und sprach von Carmen. Ich dachte erst, meine Schwester wäre am Apparat und ich wurde vollkommen hysterisch, aber dann sagte das Mädchen so etwas wie: ›Carmen ist tot … es tut mir leid.‹ Daraufhin bekam ich einen Nervenzusammenbruch und fiel sogar einige Minuten in Ohnmacht. Am nächsten Tag war ich mir schon nicht mehr so sicher, ob sich da jemand einfach verwählt hatte, oder ob die Anruferin tatsächlich etwas über Carmen wusste. Jedenfalls kam mir der Verdacht, Elena wäre die Anruferin gewesen und ich stellte sie zur Rede. Aber sie stritt es ab. Und jetzt ist sie tot. Das kann kein Zufall sein, Kilian!«
Paco trank einen Schluck Wasser und fuhr mit der Befragung des jungen Mannes fort. »Wann hast du Elena das letzte Mal gesehen?«
»Vor drei oder vier Tagen.«
»Was also?«
»Wie bitte?«
»Hast du sie vor drei oder vor vier Tagen das letzte Mal gesehen?«, wiederholte er und zog dabei das »ei« und das »ie« in die Länge wie einen Strudelteig. »Außerdem will ich die exakte Uhrzeit wissen.«
Der Junge wischte sich den Schweiß von der Stirn und schien nachzudenken. »Eigentlich war es vor zwei Tagen. Ja, es war vorgestern, um kurz nach acht Uhr abends.«
»Wo?«
»In der Lobby.«
»Hast du da mit ihr gesprochen?«
»Nein. Ich hab sie nur im Vorbeigehen gegrüßt.«
»Danach hast du sie nicht wieder gesehen?«
Der Junge wiederholte Pacos Frage und es klang wie eine traurige Feststellung. »Nein, danach habe ich sie nicht mehr wieder gesehen.«
»Und wo warst du gestern zwischen zwölf Uhr nachts und zwei Uhr morgens?« Die obligatorische Frage nach dem Alibi. Das war das Zeitfenster, welches der Gerichtsmediziner bei seiner ersten Untersuchung am Fundort als möglichen Todeszeitpunkt ausgegeben hatte.
Pacos Gegenüber räusperte sich und saß nun aufrechter in seinem Stuhl. Er schien sich gefangen zu haben und befand sich nun offenbar auf trittsicherem Terrain, weil die Frage selbst für diesen Dummschwätzer abzusehen war, dachte Paco.
»Ich war den ganzen Abend an meinem Arbeitsplatz. Gegen halb eins verließ ich dann das Hotel durch den Seitenausgang. Dort stieß ich auf Joana, mit der ich mich kurz unterhielt. Danach …«
Paco hob die Hand. »Moment mal, du sagst, du hast Joana getroffen und dich mit ihr unterhalten?«
»Ja, sie kam gerade um die Ecke, als ich nach draußen ging. Wir sind fast zusammengestoßen.«
»Wann war das genau?«
»So gegen halb eins.«
»Und von woher kam sie?«
»Entweder aus dem Lieferanteneingang oder aus dem Notausgang am Treppenschacht. Ich habe sie nicht gefragt.«
»Ihr habt miteinander gesprochen?«
»Ja, aber nicht viel. Nur dass … warten Sie … da fällt mir ein, sie sagte etwas von einem Schrei, den sie gehört hätte. Sie sagte mir, sie
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