Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
Abschied auf die Wangen und streckte Kilian die Hand entgegen. Kilian ergriff sie, hielt sie aber fest und blickte dem Beamten in die Augen. »I am sure, he has been killed.«
10
J oana nippte an ihrem Wasser. Sie saßen im Schatten eines Orangenbaums an der nördlichen Ecke der Plaza de Ayuntamiento, dem Rathausplatz von Almuñécar, inmitten der Stadt.
Kilian hatte sich wieder einigermaßen gefangen. Zwischenzeitlich hatte er mit dem deutschen Konsulat in Málaga telefoniert, welches auch für die Provinz Granada zuständig war. Dort bestätigte man ihm, was auch Paco schon erklärt hatte: Der Leichnam seines Bruders müsse im Instituto Médico Forense bleiben, bis die Gewebeproben in Sevilla ausgewertet waren und der forensische Bericht abgeschlossen werden konnte.
Das war es.
Joana musterte Kilian, der gedankenverloren sein halb leeres Bierglas drehte. Über das kürzlich Geschehene hatten sie bislang kaum ein Wort verloren. Am Nebentisch ging es dafür umso lebhafter zu. Zwei englische Sandalentouristinnen brabbelten in einem fort, wobei die mit den roten Fersen jeden dritten Satz mit einem hysterischen »… and I was like … oh my God!« beendete. Joana seufzte leise und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Von einem anderen Tisch zog der Safranduft einer Paella herüber.
Kilian stellte das Glas ab.
Nun würden sich ihre Wege bald trennen. Sie konnte nichts mehr für ihn tun. Den Rest würde das Konsulat übernehmen und mit denen konnte er sich selbst in seiner eigenen Sprache unterhalten.
Joana wippte mit dem Fuß. Dass Kilian so still und nachdenklich war, das war in seinem Fall ja auch verständlich, aber ihr als Spanierin war unbehaglich, wenn sie für längere Momente mit jemandem schweigend an einem Tisch sitzen musste.
»Erzähl mir von deinem Bruder.«
Kaum war es aus ihr heraus, da hätte sie sich auch schon am liebsten auf die Zunge gebissen.
Kilian hob den Blick, und Joana senkte ihren rasch auf eine von Fliegen umschwirrte zertretene Orange, die auf dem Kopfsteinpflaster lag.
Cojones! Verdammt! Es geht mich nichts an und es wird ihn nur noch trauriger machen, dachte sie. Kilian nahm einen Schluck Bier, lehnte sich in den roten Plastikstuhl zurück und schlug die Beine übereinander.
»Xaver war mein jüngerer Bruder«, begann er nachdenklich, »mehr Geschwister habe ich nicht. Wir waren gute Freunde und haben viel zusammen unternommen. Eigentlich wäre auch ich mit nach Andalusien gekommen, aber dann …«, er nahm noch einen Schluck, »dann ging’s halt doch nicht.«
Kilian strich mit dem Daumen über seinen Stiefel. Joana ließ ihn seinen Gedanken nachhängen. Sie ahnte, dass er sich gerade die Frage stellte, ob alles anders gekommen wäre, wenn er, wie geplant, zusammen mit seinem Bruder die Reise nach Andalusien angetreten hätte. Wäre Xaver dann noch am Leben? Diese Frage würde ihn wohl noch lange beschäftigen. Eine dürre Katze bettelte Kilian um seine Tapa an. Er warf den Rest einer Sardine auf den Boden.
»Erst vor zwei Wochen haben wir uns für den Berlin-Marathon angemeldet«, fuhr er fort. »Der Marathon war seit Langem unser sportliches Ziel und diesen Oktober wollten wir es endlich gemeinsam schaffen. Nach seiner Rückkehr wollten wir eigentlich mit dem Lauftraining beginnen …«, wieder unterbrach er sich und sah dem Kellner zu, der den Engländerinnen die Rechnung brachte.
Dann aber geriet Kilian in einen Redefluss: Anekdoten, gemeinsame Erlebnisse, die Kindheit … er und Xaver, Xaver und er … und Joana lauschte nur noch. Kilian litt sichtlich, während die Erinnerungen aus ihm hervorbrachen. Ohne ein einziges Mal innezuhalten, erzählte er eine knappe halbe Stunde lang. Tränen wechselten sich mit einem traurigen Lächeln ab, das sich wieder zu Tränen wandelte.
Das nennt man wohl den Beginn von Trauerarbeit, dachte Joana, die aufmerksam zuhörte und darauf achtete, Kilian nicht zu unterbrechen: Laut Kilian war Xaver um einiges extrovertierter, fröhlicher und auch unkomplizierter als er selbst. Jemand, der die Dinge nicht zu ernst nahm, einer der viel lachte – nicht zuletzt auch über sich selbst. Xaver ließ die Dinge auf sich zukommen, genoss das Leben und war kaum jemals aus der Ruhe zu bringen.
Kilian hingegen war der Planer.
Und er litt darunter, wenn seine Pläne nicht exakt so eintraten, wie er es ausgetüftelt hatte – was zu Kilians Missvergnügen meistens der Fall war.
Sein Bruder begegnete den Situationen des Lebens gelassen, während
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