Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
bediente aber versehentlich das Beifahrerfenster. Als sich seine Seite endlich öffnete, krallte Joana ihre Finger um den Scheibenrand: »… etwas passiert …«, sagte sie, aber der Rest ihrer Worte wurde von einem vorbeirauschenden Lkw übertönt.
Joana hastete um das Auto herum und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. »Es muss etwas passiert sein«, wiederholte sie und raufte sich die Haare. »Sie ist nicht zu Hause. Dabei ist sie doch krankgeschrieben!«
»Aber wieso sollte deswegen gleich etwas passiert sein?«, wandte Kilian ein.
Joana schluchzte. Unbeholfen legte er ihr die Hand auf den Rücken und wartete, bis sie zu beben aufhörte und sich ihm zuwandte.
»Ich weiß es«, sagte sie mit belegter Stimme. »Ich wusste es damals bei meiner Schwester auch, und jetzt habe ich wieder das gleiche Gefühl. Wahrscheinlich sehe ich sie nie wieder!«
Kilian überlegte. Na nun mal langsam. Aber natürlich musste er Joana jetzt beistehen, sie hatte schließlich in den letzten drei Tagen das Gleiche für ihn getan. Málaga jedenfalls konnte er erst einmal vergessen. Er versuchte, die Ruhe zu bewahren und rational zu denken.
»Lag das Handy deiner Mutter in der Wohnung?«
»Nein, daran habe ich auch gedacht, aber ich konnte ihre Handtasche, ihr Portemonnaie und ihr Handy nicht finden! Ich habe ihre Nummer gewählt, aber nirgends in der Wohnung war ein Klingeln zu hören.«
»Wann hast du das letzte Mal mit ihr telefoniert?«, hakte er nach.
»Gestern Nachmittag. Das weißt du doch!«
Kilian dachte an den gestrigen Vormittag zurück: Der Schwächeanfall! Der nächste Schritt müsste also sein, im Krankenhaus nachzufragen, aber Joana winkte ab.
»Da habe ich gerade von der Wohnung aus angerufen. Sowohl in der Klinik in Almuñécar als auch im Hospital in Motril wurde meine Mutter heute nicht aufgenommen oder untersucht. Das wäre sonst mittels ihrer Sozialversicherungsnummer im Computer der Seguridad Social vermerkt gewesen. Das haben sie mir versichert.«
Kilian nickte und zögerte mit seiner nächsten Frage. Er wollte nicht, dass Joana glaubte, er würde ihr die einfachsten Gedankengänge nicht zutrauen. »Hm … kann es sein, dass sie irgendwo anders ist, vielleicht im Supermarkt?«
Joana schüttelte den Kopf. »Einkaufen beim Mercadona dauert bei ihr nicht länger als eine Viertelstunde, aber ich kann sie ja schon seit heute Morgen nicht mehr erreichen!« Joana blickte auf die Uhr. »Und das sind schon vier Stunden. Und sie geht sonst immer ans Telefon. Immer! «
»Vielleicht ist sie bei einer Freundin oder in der Kirche – da muss man das Handy doch ausschalten, oder?«
Joana wiegte unschlüssig mit dem Kopf. »In der Kirche ist sie zwar oft, aber außer sonntagmorgens geht sie sonst nur dienstags und freitagabends zur Messe, und nicht einmal meine Mutter bleibt vier Stunden lang in der Kirche.«
Kilian nickte. Ihm gingen langsam die Fragen aus. »Wo könnte sich deine Mutter sonst noch aufhalten? Ist sie Mitglied in einem Club oder Verein?«
Joana schüttelte den Kopf, aber Kilian gab noch nicht auf. »War sie öfter mal nicht zu erreichen? Könnte sie irgendwo sein, wo es keine Netzverbindung gibt, auf dem Land vielleicht?«
Joana antwortete nicht. Sie starrte geradeaus durch die Windschutzscheibe ins Leere. Dann auf einmal fuhr sie hoch: »Glaubst du, das Verschwinden meiner Mutter hat etwas mit Xavers Tod zu tun?«
Kilian schluckte. Daran hatte er noch nicht gedacht. Tatsache war, dass Inmaculada den Kollaps erlitt, als sie mit Xavers Tod konfrontiert wurde, aber ob dieser Kollaps durch die Nachricht oder durch ihren Gesundheitszustand hervorgerufen wurde, konnte er nicht einschätzen. Trotzdem hatte diese Botschaft Joanas Mutter über die Maßen aufgewühlt. Aber warum sollte Inmaculada deswegen verschwinden? Kilian weigerte sich, über einen Zusammenhang nachzudenken. Er glaubte fest daran, dass Joanas Mutter spätestens in ein paar Stunden wieder auftauchen würde. Aber … da war immer noch die Sache mit der Bibel in Xavers Tasche: ein Zusammenhang, der sich auch mit viel Fantasie nicht einfach wegdiskutieren ließ. Was auch immer hinter dieser denkwürdigen Verbindung stecken mochte, das war im Moment alles nebensächlich. Es zählte nur, Joanas Mutter zu finden.
Kilian versuchte Joana zu beruhigen. Bis zum Abend sei Inmaculada sicher wieder aufgetaucht, versprach er ihr und versuchte überzeugend zu klingen. Dann schoss ihm noch eine Frage durch den Kopf, aber er hütete sich davor,
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