Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
wie vor zwei Jahren, als sie nach zwölf Stunden vergeblicher Suche zum Hörer greifen musste. Alles würde wieder von vorne beginnen …
Als ihr Handy eine schrille Tonfolge von sich gab, und auf dem Armaturenbrett zu summen und zu vibrieren begann, riss Joana die Augen auf und stieß einen Schrei aus. Dann hielt sie den Atem an und fand erst nach einigen Momenten den Mut, auf das Display zu sehen. Kilian faltete derweil seine Hände, als würde er beten. Aber es war nicht der erhoffte Anruf, sondern nur Maite. Dennoch zitterten Joanas Hände wie nach einem Stromschlag und es bereitete ihr große Mühe, die Antworttaste mit dem Zeigefinger zu treffen.
»Joana? Es ist besser, du kommst sofort zurück ins Hotel …«
Weiter kam Maite nicht, weil die Verbindung abrupt unterbrochen wurde. Joana starrte auf das Display: schwarz. Der Akku war leer. Sie schleuderte das Handy in den Fußraum.
»Wer war das?«, wollte Kilian wissen.
»Fahr zurück ins Hotel. Und zwar so schnell es geht!«
14
J oana drängte durch die Drehtür, rempelte einen Hotelgast an, und rannte auf die Rezeption zu. »¿Qué pasa?«, schrie sie Maite durch die halbe Lobby zu, sodass Salvador vor Neugier aus seinem Souvenirladen trat. Maite sah ihre Kollegin verwundert an.
»Was soll schon los sein? Carlos hat dreimal nach dir gefragt. Er ist stinksauer, weil du einfach abgezischt bist. Deswegen wollte ich dich warnen, dass du besser hier antanzt, sonst läuft er noch Amok. Hast du deine Mutter nach dieser Bibel gefragt?«
Joana warf die Hände in die Luft. »Und deswegen – wegen Carlos sollte ich …? ¡Mierda!«, fluchte sie so laut, dass Carlos aus dem Büro stürzte.
»Sag mal, was ist denn ich dich gefahren? Du kannst doch hier nicht einfach …«
»Meine Mutter ist verschwunden!«, entgegnete Joana ihrem Chef mit emporgerecktem Kinn.
»Was sagst du da? Ich hab sie heute Morgen doch noch gesehen … Mädchen , du kannst doch hier nicht so ohne Weiteres verschwinden. Was glaubst du, was …«
Carlos hielt inne. Offenbar kam ihm Joanas Gesichtsausdruck nicht ganz geheuer vor. Und tatsächlich war Joana kurz davor, seine Krawatte zu packen – wobei sie nicht wusste, ob sie ihn nur schütteln oder halb erwürgen sollte. »Du hast meine Mutter gesehen? Im Hotel? Wieso sagst du das erst jetzt?! Ich suche sie schon den ganzen Tag! Wann genau war das?« Sie starrte ihn an wie eine Drogensüchtige, die ihren Dealer um Stoff anbettelt.
Carlos überlegte. »Na vielleicht war es doch nicht heute, sondern schon gestern Morgen gewesen«, meinte er lapidar. »Was weiß ich? Die taucht schon wieder auf! Joana, was ich dich noch fragen wollte: Diese dänische Reisegruppe wird übermorgen den Ausflug nach Gibraltar …«
Joana drehte sich um, ließ Carlos stehen und marschierte in Richtung der Toiletten. Ihrem Chef war es nicht zu peinlich, ihr nachzulaufen und sie vor einem Dutzend in Lobbysofas lümmelnden Gästen grob am Ärmel zu packen.
»Joana, ich weiß nicht, was los ist mit dir, seit …«, er schwenkte bezeichnend seinen Kopf in Richtung Kilian, »seit dieser Deutsche hier aufgetaucht ist. Es ist ja wunderbar für dich, wenn du in ihn verknallt bist, aber ich muss darauf bestehen, dass du deine Romanzen in deiner Freizeit auslebst! Du hast in diesem Hotel eine Aufgabe zu erfüllen und ich erwarte, dass du …«
So ging das noch eine ganze Weile, aber Joana hörte nicht hin. Die Wut und die Enttäuschung, die sie für ihren Chef empfand, war so groß wie nie zuvor. Viel schmerzlicher aber war die Sorge um ihre Mutter, und so fehlte ihr die Kraft, Carlos Tiraden und heiligen Beschwörungen noch irgendwelche Argumente entgegenzustellen. Sie ließ ihn zu Ende predigen und schlurfte dann mit gesenktem Kopf an ihren Arbeitsplatz zurück, wo sie noch bis zehn Uhr abends ihren Dienst verrichten musste, wenn sie ihren Job behalten wollte. Aber der war ihr in ihrer momentanen Gefühlslage ohnehin kaum mehr als einen Pfifferling wert.
Wie Joana die fünf Stunden bis zum Feierabend überstehen sollte, wusste sie nicht. Genauso wenig wusste sie, was sie danach unternehmen sollte, um ihre Mutter zu finden. Eins aber stand fest: Falls Inmaculada bis zehn Uhr abends nicht wieder aufgetaucht wäre, würde sie wohl zur Guardia Civil fahren, und dort Anzeige erstatten. Und bis dahin hatte sie noch genügend Zeit, den gesamten Bekannten- und Verwandtenkreis ihrer Mutter abzutelefonieren.
Als Carlos endlich verschwand, drückte sie Kilian eine
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