Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
seine Bedenken Joana mitzuteilen: Glaubst du, dass das Verschwinden deiner Mutter etwas mit dem Verschwinden von Carmen zu tun haben könnte?
Kilian startete den Wagen, ohne zu wissen, wohin er fahren sollte.
Während er ziellos durch Almuñécar kurvte und Joana nach ihrer Mutter Ausschau hielt, wurde ihm bewusst, in welch hoffnungsloser Lage sie sich befanden: Sein Bruder war auf einer Urlaubsreise durch Andalusien gestorben und die Behörden gingen aufgrund mangelnder Spuren von Suizid aus. Zudem vermisste seine Beifahrerin seit zwei Jahren ihre jüngere Schwester und nun schien auch noch ihre Mutter verschwunden zu sein. Gab es da einen Zusammenhang? Wie er es auch drehte und wendete, er konnte sich nicht vorstellen, wie dieser Zusammenhang aussehen mochte.
Er packte das Lenkrad fester, erneut befiel ihn Verzweiflung, ganz ähnlich wie gestern, als er sich in seinem Hotelzimmer verbarrikadiert hatte. Einerseits fühlte er sich Xaver zutiefst verpflichtet , das Rätsel um seinen Tod zu lösen, andererseits – wie sollte er, Kilian Huber, ein Fremder in einem fremden Land, das überhaupt bewerkstelligen? Er war keiner dieser ausgefuchsten Kommissare oder Abenteurer aus dem Fernsehen, die selbst in den entlegensten Winkeln der Welt noch irgendwelche alten Seilschaften pflegten.
Es war viel banaler: In München führte er zusammen mit seinem Partner Philipp einen Internetladen, in dem sie quer durch alle Branchen Artikel zu Ramschpreisen verkauften: Digitalkameras, Sportartikel, Terrassenmöbel oder Küchengeräte. Ihre Ware besorgten sie aus Überproduktionen und Geschäftsliquidierungen oder importierten sie aus Asien. Philipp hatte ihn damals, als er nicht mehr weiter wusste, aus dem Sumpf gezogen. Auch jetzt, vor seiner Abreise nach Spanien, hatte er Verständnis gezeigt und kümmerte sich in Kilians Abwesenheit um die Geschäfte. Kilian dachte nach.
Außer ausgiebiger, nächtelanger Internetrecherche verfügte er kaum über Kenntnisse, die ihm bei der bevorstehenden Aufgabe hilfreich sein konnten. Zwar sah er sich Sonntags manchmal den »Tatort« an und las auch Kriminalliteratur, aber das machte ihn noch lange nicht zu einem gewieften Ermittler, zu einem, der jederzeit wusste, was zu tun war, um der Lösung eines Falls näher zu kommen. Aber der traurige Fluss seines Lebens hatte ihm dennoch die Rolle eines Detektivs zugespült: Er musste das Rätsel um Xavers Tod lösen. Eine schier unmögliche Aufgabe, vor allem, wenn man bedachte, dass er nicht mal wusste, in welche Richtung er an der nächsten Kreuzung abbiegen sollte.
Er entschied sich für links und bog in die Straße, die zum Meer führte. Joana starrte aus dem Fenster und hoffte wohl immer noch, ihre Mutter zwischen all den Fußgängern zu entdecken.
Joana.Zu allem Überfluss war sie auch noch die Einzige, mit der er sich überhaupt auf Deutsch verständigen konnte.
Kilian parkte an der Promenade des San-Cristobal-Strandes.
»Willst du es nochmal bei deiner Mutter versuchen?«, fragte er sie.
Joana presste ihr Gesicht gegen das Beifahrerfenster und schüttelte den Kopf, sodass ihre Nase an der Scheibe entlangquietschte. »Ich habe mehr als zehnmal bei ihr angerufen. Sie hätte längst zurückgerufen.« Trotzdem drückte sie ohne hinzusehen auf die Wiederwahltaste und lauschte dem Freizeichen, bis sich die Mailbox einschaltete und sie den Anruf unterbrach. Nachrichten hatte sie schon genug hinterlassen. Sie seufzte und kramte in ihrer Handtasche nach einem Adressbuch, nicht viel größer als eine Streichholzschachtel, in dem alle wichtigen Nummern notiert waren. Zwei Freundinnen und das Krankenhaus hatte sie ja schon von Inmaculadas Wohnung aus kontaktiert. Nun wollte sie herausfinden, ob überhaupt jemand ihre Mutter heute schon zu Gesicht bekommen hatte. Der Reihe nach rief sie an: Bank, Post, Supermarkt, bei zwei entfernten Verwandten und in der Cafeteria an der Ecke, wo ihre Mutter gerne frühstückte.
Während sie ihre Telefonate führte, saß Kilian offenbar gedankenverloren neben ihr, starrte aber jedes Mal mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihr herüber, sobald sie ein Gespräch beendete.
Joana ließ sich nicht ablenken, legte das Handy auf das Armaturenbrett und blätterte weiter in ihrem Büchlein herum. Beim Eintrag für die Guardia Civil blieb sie hängen, stöhnte auf und schloss die Augen. Ein klassisches Déjà-vu: Bald würde ihr nichts anderes mehr übrig bleiben, als erneut bei Paco eine Vermisstenanzeige aufzugeben, genau
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