Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
mit dem Verschwinden deiner Mutter zu tun haben könnte . Wir wissen zwar nicht, warum, aber …« Er hielt ihr die Plastiktüte mit dem dubiosen Inhalt vor die Nase. »Das hier könnte wichtig sein, weil es bedeutet, dass mein Bruder jemanden in Spanien kennengelernt hat. Jemanden, den er in seinem Auto mitnahm. Jemand, der dort geraucht hat, was mein Bruder niemals tat. Vielleicht hat diese Person etwas mit Xavers Tod zu tun und – falls es einen Zusammenhang gibt – auch mit dem Verschwinden deiner Mutter, verstehst du?«
Joana starrte ihn nur entgeistert an, bis er schließlich den Blick abwandte.
Eine Empfindung breitete sich in ihm aus, die er normalerweise nur als Schuldgefühl kannte, aber diese Misere hier war nicht seine Schuld! Nur sehr selten hatte er bis jetzt Schuld auf sich geladen und nur einmal war seine Schuld so groß gewesen, dass sie vom Gesetz verfolgt wurde – und den Bruch mit seinem früheren Leben bedeutete. Aber diese Schuld war nun bezahlt. Teuer bezahlt. Joana nahm ihm die Plastiktüte aus der Hand.
»Vamos.Gehen wir! Aber mit dem da drinnen verschwenden wir nur unsere Zeit«, maulte sie und stieß die Beifahrertür auf.
Kilian folgte ihr ins Gebäude. Der Beamte erschrak und schob seine Zeitung raschelnd unter das Schreibpult. Dann setzte er einen Gesichtsausdruck auf, als wäre er gerade in gewichtigen Grübeleien unterbrochen worden, die sich einzig und allein darum drehten, wo er wohl die vermisste Frau zuerst suchen sollte.
Kilian legte die Plastiktüte auf das Pult und wickelte die Zigarettenschachtel aus der Serviette. Argwöhnisch betrachtete der Uniformierte den Abfall. Joana, die Kilians Fragen und Ausführungen übersetzte, brauchte fünf Minuten, um dem Mann zu erklären, dass es sich bei dem vermeintlichen Abfall um wichtiges Beweismaterial handelte, das umgehend dem dafür zuständigen Beamten – am besten Paco Medina – ausgehändigt werden musste. Sie erläuterte eindringlich, dass diese Zigarettenreste ein neues Licht auf den Fall Franz Xaver Huber warfen, dessen Tod womöglich irrtümlich als Selbstmord eingestuft worden war und das nur, weil die Guardia Civil den Mietwagen nicht untersucht hatte, tadelte sie mit erhobenem Zeigefinger. Der Fall Xaver Huber könne außerdem in Zusammenhang mit dem Verschwinden ihrer Mutter stehen, sagte sie zum Schluss, um die Dringlichkeit der Angelegenheit hervorzuheben. Joanas Monolog wurde nur durch ein gelegentliches »Sí« unterbrochen und auch ansonsten hatte der Beamte keine weiteren Fragen oder Einwände.
Als das lästige Paar schließlich die Polizeistation endgültig verließ, seufzte er tief. An einem Wochentag in der Nebensaison, noch dazu zu fortgeschrittener Stunde, war es hier normalerweise nicht so stressig. Er griff sich die Zigarettenschachtel, prüfte, ob sie leer war, nahm die blaue Plastiktüte, auf der in dicken weißen Lettern »Tempo« geschrieben stand, und wuchtete sich aus seinem Drehstuhl. Er hatte schon von dem toten Touristen aus dem Hotel gehört, aber es war nicht seine Aufgabe, sich darüber Gedanken zu machen. Er drückte seinen Rücken durch, gähnte, und schlurfte über den verzweigten Flur in Pacos Büro. Dort legte er die Kippen und die Schachtel auf den Schreibtisch, deutlich sichtbar, damit sein Kollege sie gleich am nächsten Morgen finden und untersuchen konnte. Er stöberte gerade nach einem Post-it, um das Beweismaterial als »Zigaretten von totem Touristen« zu titulieren, als ein Telefonklingeln durch den Korridor hallte und ihn zurück an seinen Platz eilen ließ: ein Verkehrsunfall auf der Nationalstraße N340. Heute blieb ihm aber auch gar nichts erspart. Er leitete alles vorschriftsgemäß in die Wege, koordinierte die Einsatzkräfte und als er damit fertig war, neigte sich seine Schicht langsam dem Ende zu. Die Zigarettenstummel waren längst vergessen. Erst früh am nächsten Morgen, als Pepa, die Putzfrau, ihren Job versah, erregten sie wieder Aufsehen. Pepa fand es durchaus amüsant, dass Paco sich über das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden hinwegsetzte und dabei obendrein auch noch eine Plastiktüte als Aschenbecher benutzte. Sie mochte Polizisten, die sich selbst nicht immer strikt an ihre eigenen Regeln und Gesetze hielten. Das macht sie menschlicher, sagte sie sich, als sie die Zigarettenpackung kontrollierte, ob diese auch wirklich leer war. Dann warf sie die leere Schachtel und die Tüte mit den Stummeln in ihren rollenden Müllcontainer und wischte Pacos
Weitere Kostenlose Bücher