Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
vorangegangenen. Jetzt wird es interessant, dachte er und schaltete die Kamera aus und wieder ein. Im Schnelldurchgang drückte er sich nochmals durch alle Fotos bis zu den letzten drei Bildern. Auf den Aufnahmen Nummer 107, 108 und 109 war zum ersten Mal Xaver selbst zu sehen. Das konnte für seinen alleinreisenden Bruder eigentlich nur bedeuten, dass er entweder jemanden gebeten hatte, von ihm einen Schnappschuss zu machen oder aber …
Kilian überflog die Kartenbelege für Sevilla und fand eine Abbuchung für den zweiten Abend, die seine Vermutung bestätigte: Im Restaurante Leonardo da Vinci zahlte Xaver um 22.35 Uhr die Summe von 114 Euro für einen Ensalada Caprese, eine Sopa Minestrone, einmal Ravioli Arrabiata und einmal Penne al Salmón. Dazu eine Flasche Marqués de Cáceres Crianza und als Dessert zweimal Espresso, zweimal Tiramisu und zwei Grappa!
Kilian erhob sich und faltete die Hände. Er war sicher, auf eine entscheidende Spur gestoßen zu sein. Sein Bruder hatte kurz vor seinem Tod eine Reisebegleitung, die er abends zum Essen einlud und mit der er tagsüber die Stadt besichtigte. Handelte es sich dabei um die gleiche Person, die in seinem Mietwagen rauchte? Keine flüchtige Bekanntschaft also und auch kein Anhalter, sondern jemand, der ihn auf einem Teil seiner Reise durch Andalusien begleitete?
Kilian hielt inne und dachte darüber nach, was dies zu bedeuten hatte. Bisher war er immer davon ausgegangen, dass Xavers Kontakte sich auf das Servicepersonal in Restaurants, Hotels oder an Tankstellen reduzierten. Nun hatte er aber festgestellt, dass Xaver von einer ihm vertrauten Person fotografiert wurde, und wahrscheinlich denselben Menschen zu einem Abendessen beim Italiener eingeladen hatte. Er – oder sie – war wohl auch zu ihm in den Wagen gestiegen und hatte dort vier Zigaretten geraucht. Kilian hinterfragte seine Gedanken. Wieso eigentlich hatte er bisher angenommen, dass Xaver durch das Land reiste, ohne die Leute kennenlernen zu wollen? Die Antwort darauf war nicht schwer: weil er dummerweise von sich selbst auf seinen Bruder schloss und sich nicht genügend in Xaver hineingedacht hatte, der um einiges kontaktfreudiger war. War Xaver dies zum Verhängnis geworden? War er in Andalusien auf seinen Mörder gestoßen? Kilian schüttelte frustriert den Kopf. Zu einem Mord benötigte man doch ein Motiv und was konnte Xaver schon getan haben, damit jemand einen Grund fand, ihn umzubringen? Es drängte ihn, die Fotos im Schnelldurchlauf durchzusehen, aber er zwang sich zur Ruhe, blieb bei seiner Methode und legte die Kreditkartenabrechnungen für Sevilla erst beiseite, nachdem er alle Daten notiert hatte.
Die nächste Station auf Xavers Reise war die Stadt Córdoba, was er anhand einer Aufnahme erkannte, die aus der Mezquita stammen musste. Laut Reiseführer handelte es sich bei dieser ehemaligen Moschee nach Casablanca und Mekka um die drittgrößte der Welt. Am eindrucksvollsten waren die abwechselnd lachsrot und sandsteinfarben gestreiften Gewölbebögen, die laut Reiseführer auf über tausend Säulen ruhten. Das folgende Foto war eine Detailaufnahme einer dieser Säulen: Ein junger Tourist lehnte daneben und studierte einen Reiseführer. Kilian zappte sich durch weitere Fotos der Moschee, denen das gesamte Bauwerk oder einzelne Details wie die mächtige Kuppel als Motiv dienten. Danach folgte ein Bild, das den Rücken eines jungen Mannes zeigte, der sich über die Mauer eines Aussichtspunktes beugte und über die Stadt blickte. Kilians Fokus richtete sich zunächst auf den spektakulären Hintergrund: das ziegelrote Leuchten der Dächer Córdobas im letzten Tageslicht. Dann betrachtete er den Mann, der diese Szenerie aus erster Reihe bewundern durfte. Verspürte dieser Fremde in dem Moment, als sein Bruder auf den Auslöser drückte, Freude an dem Anblick? Und hätte er, Kilian, sich selbst an einem Panorama wie diesem erfreuen können oder hätte er ein Foto für sein digitales Album geschossen und wäre zur nächsten freudlosen Station seines Lebens getrottet, ohne den Augenblick wirklich erlebt zu haben?
Kilian besann sich: Er wollte durch Xavers Reise etwas über dessen Tod erfahren und nicht seinen eigenen Trübsinn analysieren. Außerdem gab es da etwas an dem Mann auf dem Foto, das ihm merkwürdig erschien.
Er klickte sieben Fotos nach hinten, pfiff durch die Lippen, prägte sich den jungen Mann mit dem Reiseführer in der Moschee ein und kam wieder auf das Foto mit dem
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