Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
Sonnenuntergang über Córdoba zurück. Tatsächlich! Die gleiche Bekleidung! Der gleiche Mann! Außerdem stand derselbe Rucksack neben dem Aussichtsfernrohr wie zuvor schon neben der Säule in der Moschee. Ein Zufall? Folgte dieser Mann demselben Touristenpfad wie sein Bruder oder schlenderten die beiden etwa zusammen durch die Stadt?
Er klickte auf das nächste Foto und fand die Antwort: Sie mussten jemand gefragt haben, der sie gemeinsam vor demselben Hintergrund fotografierte wie schon auf dem Foto zuvor. Xaver stand neben einem Mann um die dreißig, der im Moment der Belichtung seinem Bruder den Kopf zuneigte und dabei den Mund halb geöffnet hatte, als wäre er mitten im Wort abgelichtet worden. Xaver lächelte in die Kamera – kein statisches Lächeln für den Fotografen, eher eine Reaktion darauf, was sein Begleiter ihm eben noch zugeflüstert hatte. Eine gute Aufnahme. Zwei Männer, die sich vor prächtiger Kulisse unterhielten. Und doch kam Kilian dabei etwas seltsam vor. Er zoomte so lange, bis nur noch die zwei Gesichter das Display ausfüllten: Der Begleiter seines Bruders hatte blondes, kurz geschorenes Haar, ein kantiges Gesicht und trug eine Sonnenbrille mit orangenfarbenen Gläsern. Auf den ersten Blick schien das Foto ein Schnappschuss zweier Kumpels zu sein, nur dass der eine Mann auf dem Foto wenige Tage später sterben sollte, weil … ja, weil was? Weil er sich umbrachte? Kilian schüttelte den Kopf. Ausgeschlossen. Wer diese Urlaubsfotos sah, konnte nicht wirklich ernsthaft daran glauben. Weil er also ermordet wurde? Von diesem blonden Typen? Kilian fuhr sich durch die Haare, ein Luftzug streifte seine Stirn. Er hob den Blick und sah, dass die Terrassentür halb offen stand. Regen prasselte draußen auf die Fliesen. Er wandte sich wieder dem Foto zu. War das der Mörder seines Bruders? Den Eindruck eines skrupellosen Killers machte er nicht gerade … andererseits … wie sahen Mörder denn eigentlich aus? Selten so wie in Hollywood, das wusste er aus eigener Erfahrung, und dachte an seine Zeit im Gefängnis zurück, wo er einem echten Mörder über den Weg gelaufen war, von dem man allerdings eher glauben konnte, er säße nur wegen Falschparkens ein.
Erneut studierte er das Gesicht des Fremden. Was war mit dem Motiv? Und wie hätte dieser es angestellt? Kilian konzentrierte sich auf die Mimik der beiden. Wieder sagte ihm sein Gefühl, dass dieses Foto mehr Aussagekraft besaß, als es oberflächlich den Anschein machte. Die Mimik der beiden passte irgendwie nicht – zu zwei heterosexuellen Männern! Kilian zoomte den Bildausschnitt mit fahrigen Fingern weg, sodass nun beide von den Knien aufwärts im Bild zu sehen waren. Beide Männer trugen ein Polo-Shirt. Er scrollte auf einen roten Punkt am Shirt des Fremden und zoomte heran: ein Emblem, ein Kreis mit einer Inschrift. In der oberen Hälfte eine Art König oder Ritter mit einem weißen Umhang, darunter ein Wappen mit drei Löwen, das teilweise von einer Krone bedeckt wurde. Kilian musste nicht lange rätseln, was dieses Emblem bedeutete, es stand unter dem Wappen geschrieben: »University of Copenhagen«.
Ein Däne also …
Kilian starrte den Dänen an. Was die Gesichtszüge des Mannes betraf, so mochte seine Vermutung durchaus stimmen. Er drückte an den Knöpfen des Displays, bis er wieder in die ursprüngliche Gesamtansicht gelangte. Der Däne lehnte an der Mauer, das Knie lässig angewinkelt und abgestützt. Die eine Hand baumelte neben der seines Bruders. Wieder drückte Kilian an den Suchpfeilen herum und zoomte, bis er nur noch die beiden Hände im Visier hatte. Er atmete heftig ein, weil er vor Anspannung seit geraumer Zeit den Atem angehalten hatte. Abermals fixierte er die Pixel in dem Display, bis sie verschwammen, aber es gab keinen Zweifel mehr: Die kleinen Finger der beiden Männer waren ineinander verhakt.
19
S argento Paco Medina, der die Suche nach Inmaculada Ramos Ortiz leitete, trommelte mit den Fingern auf den Besprechungstisch. Er saß mit seinem Vorgesetzten, Teniente Lozano, und zwei Cabos im Konferenzraum. Cabo Ávila und Cabo Guerrero waren gerade vom Hotel »Costa Tropical Palace« zurückgekehrt, wo sie nach der verschwundenen Inmaculada gesucht hatten. Cabo Ávila aus dem Provinzkaff Lenteji, dessen Vater Bergziegen hütete, legte seine Polizeikappe vor sich auf den Tisch und erstattete Bericht:
»Also, die ist dort nirgends!«
»Geht’s ein wenig ausführlicher, Cabo?«, wollte Paco wissen.
Cabo
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