Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
Verdacht von sich lenken. Andererseits … hätte er gar nicht angerufen, wäre es schwierig gewesen, überhaupt seine Spur zurückzuverfolgen, da seine Nummer nicht in Xavers Handy gespeichert war, wie Kilian feststellte.
Fragen über Fragen.
Was er aber brauchte waren Antworten, also atmete er tief durch, drückte auf die Gesprächstaste und presste Xavers Handy ans Ohr. Zwischen den Freizeichen konnte er sein Herz je drei Mal an der Schläfe pochen hören. So stand er eine knappe Minute, bis die Verbindung von einer dänischen Computerstimme unterbrochen wurde, die ihn wohl dazu einlud, eine Nachricht zu hinterlassen. Fluchend kappte er die Verbindung und stapfte zwischen Eingangs- und Terrassentür umher, unschlüssig, was er nun tun sollte.
Aber es dauerte nicht lange, bis Xavers Handy in seiner Faust vibrierte. Der Däne rief zurück! Kilian räusperte sich und nahm den Anruf entgegen. »Ja?«
»Xaver, Mensch … endlich erreiche ich dich. Wieso meldest du dich erst jetzt, bist du wieder in München?« Der Däne sprach perfektes Deutsch mit nur leichtem Akzent. Kilian fand keine Worte.
»Hallo … Xaver?«
»Ich bin Kilian …« Mehr brachte er nicht hervor.
»Was ist los mit dir Xaver? Ich habe schon viermal …«
»Ich bin nicht Xaver. Ich bin sein Bruder.«
»Ich versuche die ganze Zeit, dich zu erreichen, und du machst dich lustig über mich. Xaver wir …«
»Ich heiße Kilian und ich bin Xavers Bruder«, wiederholte er laut.
»Wie bitte? Ich möchte mit Xaver sprechen!«
»Xaver ist tot!«
Es entstand eine Pause, in der Kilian den Atem des Dänen an seiner Wange zu spüren glaubte.
»Hör mal Xaver, wenn das jetzt einer deiner Scherze sein soll, dann finde ich ihn nicht witzig.«
Kilian war nicht entgangen, dass sich eine Unsicherheit in die Stimme des Dänen geschlichen hatte.
»Es stimmt aber«, sagte Kilian. »Leider. Ich rufe an, weil ich Ihre Nummer in Xavers Handy gefunden habe.«
»Nein, das kann nicht sein. Die Stimme …«
»Ich habe am Telefon dieselbe Stimme wie Xaver, aber Xaver ist tot. Er ist in Spanien an einer Überdosis Medikamente verstorben.«
Wieder entstand eine Pause. Kilian hörte, wie ein Stuhl herangezogen wurde. »Xaver ist tot?«
»Ja!«
»Scheiße.«
»Wie heißen Sie?«
»Lars Rasmussen, aber ich bin doch gerade noch mit ihm … Wie ist er gestorben, sagen Sie?«
Und Kilian erzählte ihm alles, was er selbst wusste, auch davon, wie er die Reise seines Bruders recherchiert hatte und dabei auf die Nummer des Dänen im Handy gestoßen war. Nur seinen Mordverdacht behielt er für sich. Für Kilian stand bereits fest, dass sein Gesprächspartner nichts mit dem Tod seines Bruders zu tun hatte. Am anderen Ende der Leitung war es still, bis auf gelegentliches Lamentieren in dänischer Sprache.
»Können Sie sich vorstellen, was nach Ihrem Abschied mit meinem Bruder geschehen ist?«, fragte er den Dänen zum Abschluss.
»Nein. Wir hatten in Granada einen kleinen Streit. Mein Rückflug nach Kopenhagen ging von Madrid aus und wir haben uns nach der Besichtigung der Alhambra getrennt. Xaver wollte am selben Tag noch an die Küste fahren.«
»Worum ging es bei dem Streit?«
»Es ging darum, wann und wo wir uns wiedersehen. Er wollte mich in Dänemark besuchen kommen, aber das wäre nicht möglich gewesen.«
»Wo haben Sie sich kennengelernt?«
»In einer Gay-Kneipe in Sevilla.«
»Wissen Sie, ich wusste bis vor zwei Tagen noch nicht einmal, dass mein Bruder homosexuell ist«, gab Kilian zu und hoffte auf eine Antwort, welche die geheime Neigung seines Bruders doch noch widerlegte.
»Da sind Sie nicht alleine«, erwiderte aber der Däne nach kurzer Pause. »Meine Frau weiß es von mir auch nicht. Ich habe Xaver in der Alhambra gebeichtet, dass ich verheiratet bin, und deswegen hatten wir diesen Streit. Er war enttäuscht, dass ich es ihm nicht von Anfang an gesagt hatte, und meine Frau war auch der Grund, warum er mich nicht besuchen kommen konnte, aber jetzt …« Der Däne begann zu heulen. Kilian unterbrach den Anruf. Den Kummer dieser Zufallsbekanntschaft seines Bruders musste er sich nicht auch noch anhören.
Kilian rekapitulierte dieses sonderbare Telefonat. Eines stand nun mit Sicherheit fest: Der Däne schied als potenzieller Mörder seines Bruders aus und seine bisherigen »Ermittlungen« waren vergebens – außer dass er fortan mit der Gewissheit leben musste, dass ihm sein Bruder ein Leben lang seine Homosexualität verheimlicht hatte.
Kilian
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