Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Titel: Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Brodrick
Vom Netzwerk:
allein war, öffnete er die Kassette. Sie enthielt nur einen Gegenstand: ein abgenutztes rotes Köfferchen für einen Wochenendausflug. Eine Naht war aufgeplatzt und am Verschluss war die Vergoldung abgeblättert. Er stellte den Koffer auf den Tisch und öffnete den Deckel. Im Inneren lagen eine Aktenmappe, ein Briefumschlag und ein Zeitungsausschnitt.
    Nick begann mit der Mappe. Sie war mit einem typischen roten Band zugebunden, wie er es jahrelang auf dem Schreibtisch seiner Mutter gesehen hatte. In der Mitte stand der Name des Angeklagten: Riley. In der linken Ecke befand sich ein Vermerk:
     
    Richter: HHJ Venning
    Anklagevertreter: Pagett
    Hauptverteidiger: Glendinning
    Nebenverteidiger: Duffy
    In allen Punkten der Anklage nicht schuldig
     
    Den Namen »Duffy« hatte er eben noch von Mrs. Tippins gehört. So hieß der Mönch, der den zweiten Schließfachschlüssel verwahrte. Nick war ihm vor langer Zeit einmal begegnet.
     
    »Kloster Larkwood ist nicht weit von hier. Ich habe gehört, wer erst mal drin ist, kommt nicht wieder raus.« Sie hatte eine Grimasse geschnitten wie eine erfahrene Hobbyhöhlenforscherin. Nick musterte den Namen des beauftragenden Rechtsanwalts. Er war ihm zu Hause in St. John’s Wood begegnet, wo er nachdenklich Nüsse geknabbert hatte: Frank Wyecliffe.
    Nick öffnete das Band und schlug die Mappe auf. Die erste Seite enthielt unter der Überschrift »Auftrag zur Verteidigung« nur einen einzigen Absatz:
     
    Mr. Riley erklärt, dass die Zeuginnen, seine ehemaligen Mieterinnen, nach der Zwangsräumung ihrer Wohnung wegen Mietrückständen falsche Anschuldigungen gegen ihn erhoben haben. Die Verteidigung wird den Mandanten sicher hinsichtlich der Beweislage beraten können.
     
    Nick blätterte weiter und überflog die getippten Zeugenaussagen. Drei junge Frauen hatten Riley beschuldigt, ein Zuhälter zu sein. Hier und da tauchte ein weiterer Name auf: der Pieman. Die letzte Aussage stammte von David George Bradshaw, dem Leiter eines Obdachlosenasyls, den die Mädchen anscheinend um Hilfe gebeten hatten. Das letzte Blatt war das polizeiliche Vernehmungsprotokoll des Beschuldigten. Es enthielt lediglich eine Antwort: »Ich bin sauber.« Nicks Konzentration ließ nach, und er band die Aktenmappe wieder zu. Es fiel ihm schwer, etwas, was sie getan hatte, auf dieselbe Weise zu tun.
    Er nahm den Zeitungsausschnitt. Er stammte aus einer Tageszeitung für Südlondon. Das Papier war schmutzig und die Druckerschwärze verschmiert. Eine gerichtliche Untersuchung hatte bei dem siebzehnjährigen John Bradshaw, dessen Leiche aus der Themse geborgen wurde, als Todesursache einen Unfalltod festgestellt. Der Artikel schilderte die Wut und den Kummer seines Vaters George – offensichtlich der Zeuge in dem Riley-Prozess, obwohl er hier mit seinem zweiten Namen erwähnt wurde. Nick verglich das Datum der Untersuchung mit dem des Prozesses: Es lagen fünf Jahre dazwischen.
    Nick nahm den Briefumschlag. Er war an seine Mutter und an Anselm Duffy adressiert und enthielt einen Brief von Emily Bradshaw, der Mutter von John und Ehefrau von George Bradshaw. Darin beschimpfte sie Rileys Verteidiger und warf ihnen vor, ihre Familie zerstört zu haben. Wieder prüfte Nick das Datum und packte alles zurück in den roten Koffer. Ein Weilchen blieb er ruhig sitzen und notierte sich dann die chronologische Abfolge, um sich den Ablauf der Ereignisse zu verdeutlichen:
    Ende des Gerichtsprozesses Tod von J. Bradshaw (laut Zeitungsmeldung): fünf Jahre nach dem Prozess.
    Brief von Mrs. Bradshaw: acht Jahre nach dem Prozess.
    Eröffnen des Schließfachs bei BJM: zehn Jahre nach dem Prozess.
     
    Nick rollte den Aluminiumbehälter zurück zu Mrs. Tippins. Ihr hartnäckig neugieriger Blick entlockte ihm die Bemerkung: »Nur ein paar alte Papiere.«
    »Komisch, was die Leute so alles aufheben, was?«
    »Ja.«
    Sie schlug eine Registermappe auf, um sich seine Unterschrift geben zu lassen, überlegte es sich aber anders. »Ach, der Erbschein ist ja schon unterwegs … nehmen Sie die Sachen ruhig mit. Der Mönch kommt ohnehin nicht, oder? Ich meine, es würde mich nicht wundern, wo er doch praktisch eingesperrt ist.«
     
    Auf der Rückfahrt nach London schaute Nick aus dem Zugfenster auf die abendlichen Felder und dachte über ein kleines Rätsel nach: Wie war Elizabeth zu einem Ausschnitt aus einer Lokalzeitung gekommen, die weit weg von ihrem Wohn- und Arbeitsort erschien? Sie war eine peinlich ordentliche Frau gewesen,

Weitere Kostenlose Bücher