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Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Titel: Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Brodrick
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aber der Zeitungsausschnitt war schmutzig und ausgefranst. Die einzig logische Schlussfolgerung war, dass jemand ihn ihr gegeben hatte, und als wahrscheinlichste Kandidaten kamen dafür nur Mr. oder Mrs. Bradshaw in Frage. Da der Ausschnitt nicht in den Briefumschlag passte und der Brief sauber und ordentlich war, schied Mrs. Bradshaw als Absenderin vermutlich aus. Damit blieb David George Bradshaw übrig. Aber wie sollte Elizabeth ihm begegnet sein? Sie hatte Riley verteidigt, also die gegnerische Partei vertreten. Wie konnten sie sich begegnet sein, ohne dass einer von ihnen die Grenze überschritten hätte? Und da der Koffer Elizabeth gehörte, war sie sozusagen die Grenzgängerin. Das warf allerdings eine weitere merkwürdige Frage auf: Wieso sollte Mr. Bradshaw Elizabeth einen solchen Ausschnitt gegeben haben? Das setzte nicht nur einen Zusammenhang zwischen seiner Mutter und dem tragischen Vorfall voraus, sondern zeugte von einer Vertrautheit, die zur Zeit des Prozesses noch nicht bestanden haben konnte: Denn wenn Elizabeth Mr. Bradshaw damals schon gut gekannt hätte, hätte sie das Mandat niederlegen müssen. Dass sie das nicht getan hatte, ließ darauf schließen, dass sie erst später Kontakt mit ihm aufgenommen hatte, vielleicht veranlasst durch den Brief seiner Frau.
    Nick betrachtete die anheimelnden Lichter, die verstreut zwischen den Feldern aufleuchteten, und dachte: So, du hast dich also mit deinem Prozessgegner angefreundet, heimlich deponiert, was du entdeckt hast, und den Schlüssel einem Mönch gegeben. Hellwach, aber zugleich müde, zwang er sich, einen oder zwei Schritte weiter zu denken und stieß zur Belohnung auf das eigentliche Rätsel. Er starrte vor sich hin, als sei er über die Quelle des Nils gestolpert: Elizabeth hatte diese Sammlung schon bei Prozessende begonnen, als sie den Tod John Bradshaws oder den Brief seiner Mutter noch gar nicht voraussehen konnte. Wieso hatte sie die Prozessakten überhaupt verwahrt?
     
    An der Liverpool Street stieg Nick in die U-Bahn nach St. John’s Wood und grübelte über eine Kette von Intuitionen: Es gab einen Zusammenhang zwischen Elizabeth’ Geheimnis und ihrem Wunsch, Nick in der Nähe seines Zuhauses zu halten; gleichzeitig hatte sein Vater ihn gedrängt, nach Australien zu fahren. Wusste er von der Geheimniskrämerei seiner Frau? Nein, das glaubte Nick nicht. Sein Vater war arglos. Seine unbedachte Aufrichtigkeit hatte zahlreiche Geschäftstransaktionen über mehrere Kontinente hinweg gefährdet – der letzte Vorfall dieser Art hatte ihm den unfreiwilligen Ruhestand eingebracht. Ihm konnte man nichts anvertrauen – am wenigsten die Wahrheit. Das rückte eine weitere Frage in den Vordergrund: Was mochte für Elizabeth so wichtig gewesen sein, dass sie es dem Mann, dem sie am meisten vertraute, nicht erzählen konnte?
    Zu Hause ging Nick geradewegs in das Schmetterlingszimmer, um sich zu vergewissern, dass sein Vater nichts von dem Schlüssel wusste. Charles schaute aus seinem Sessel auf, als habe er eine heiß geliebte Motte gesehen. In der Hand hielt er ein leeres Glas.
    »Wo warst du?« Sein Gesicht war gerötet, er war angesäuselt.
    »Ich war nur spazieren.«
    »Ich auch.«
    »Wo?« Nick bemerkte die Fliege, ein Überbleibsel aus den Bankertagen seines Vaters. Er war immer mit Bowler zur Arbeit gegangen. Seine Anzüge waren aus schwerem, schweißtreibendem Tuch geschneidert. Aber er hatte nach gutem Geld ausgesehen – als sei ihm heiß vor Verantwortung.
    »Im Regent’s Park. Und du?«
    »In Sudbury.«
    »Wo?«
    »In Suffolk.«
    »Du lieber Himmel.«
    Nick musterte die verletzte Miene seines Vaters. Der gute Mann wusste von nichts. Worüber hatte er im Regent’s Park wohl nachgedacht? Es war nicht schwer nachzuvollziehen: über die ausweichende Art und die Heimlichkeiten seiner Frau, die ihm in letzter Zeit aufgefallen waren; über die Umstände ihres Todes; und über die tröstenden Worte einer Polizistin, die er nicht kannte. Er war aus der Bahn geworfen, und Nick konnte ihm nicht helfen – weil er den Schlüssel besaß. Er verlieh ihm Wissen, aber ein Wissen, das er nicht teilen konnte.
     
    Nick wachte auf und lauschte auf den Müllwagen und die Späße der Müllmänner. Er schwang die Beine aus dem Bett und griff nach dem Handy. Nach langem Zögern rief er in einem Kloster an.

7
    DER BLINDE GEORGE, wie man ihn nannte, wachte auf einer Verkehrsinsel auf. Er lag auf einer Bank. Hinter einem Papierkorb ragte der Marmorbogen

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