Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
kommen.«
»Ja, ich weiß.«
»Wie bitte?«
»Er war hier.« Sie schob die Gardine erneut beiseite und starrte hoffnungslos hinaus.
»Und er ist wieder gegangen?«
»Ja.«
»Aber wieso?«
Das kleine Tor schnappte ein, und die Haustür öffnete sich. Anselms Einfühlungsvermögen verflüchtigte sich. Es hatte sich auf ein filmreifes Happy End in Salzburg eingestellt. Jetzt spürte er die Kälte echten Mitleids. Im Flur stampften Füße und schüttelten die Woche ab. »Verdammt, ist das kalt. Aber es ist Freitag.« Es klang beruhigend, freundlich und fest verwurzelt. Ein Reißverschluss sirrte herunter.
Emily ging in die Zimmermitte. Da sie sich nicht hinsetzte, blieb auch Anselm stehen. Sie sagte: »Georges Platz ist nicht besetzt. Glauben Sie das bitte nicht. Ich kann nur unser Zusammenleben nicht begreifen, das ist alles. Und wenn man etwas nicht versteht, dann …«
Ein rundes, sommersprossiges Gesicht schaute Anselm überrascht an. »Ach, hallo, tut mir leid wegen dem Fluchen …«
»Macht nichts. Es ist wirklich kalt, das finde ich auch.«
»Peter, das ist Pater Anselm. Er kennt George.«
Die große Hand des Mannes war von Arbeit und Anstand gezeichnet. Anselm nahm sie. Sie hatte ausgesehen wie ein Amboss, fühlte sich aber an wie ein nasser Schwamm.
»Pater Anselm wollte gerade gehen«, sagte Emily.
Peter stand in der Tür wie eine Straßensperre. Unter seinem offenen blauen Overall waren ein Pullover mit V-Ausschnitt Hemd und Krawatte zu sehen. Die gemusterte Wolle spannte sich leicht über einem Bäuchlein. Er atmete beklommen, während er mit nüchternem, praktischem Blick eine Bruchstelle zu begutachten schien, die sich nicht mehr reparieren ließ. Als schaue er angestrengt durch Sprühnebel, fragte er: »Wie geht’s ihm?«
»Gut. Nicht schlecht«, sagte Anselm, hin und her gerissen zwischen Ehrlichkeit gegenüber Peter und Rücksichtnahme auf Emily.
»Na ja, das sind doch gute Nachrichten, oder?«
»Ja, durchaus.«
Anselm stellte sich vor, wie der große Mann mit Pappkartons angekommen war, die sein geordnetes Leben enthielten: einige Bilder, Dads alten Blechbecher, ein paar Corgi-Autos, bergeweise Unterhosen, einen Schuhputzkasten. Anselm sagte: »George stellt keinerlei Ansprüche.« Es war eine seltsame Äußerung. Er wusste nicht, warum er das gesagt hatte.
Peter stützte sich mit beiden Armen an den Türpfosten ab und legte den Kopf schief. Er bekam eine Glatze. Das restliche Haar hatte einen Kniff von dem vorschriftsmäßigen Schutzhelm. »Emily, lass ihn rein. Nimm ihn wieder zurück.« Er zog den Reißverschluss seines Overalls hoch, als ob er gerade aus der Umkleidekabine käme. »Es ist sein Zuhause.«
Emily weinte. Sie schob sich an Anselm vorbei und sagte: »Peter, machst du bitte Tee?«
»Trinken Sie auch einen, Pater?«
»Nein, tut er nicht«, schluchzte Emily.
An der Tür fragte Anselm, mit einem Fuß schon auf dem Gehweg: »Soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Ja.« Emily kramte nervös in ihren Taschen.
Anselm sagte: »Ich glaube, ich kann es ihm erklären, ohne viel zu sagen.« Er schaute auf Peter, der außer Hörweite stand.
»Sagen Sie ihm …«, setzte Emily an, aber ihr Gesicht zerfurchte sich. Sie zog einen ausgelaufenen Kugelschreiber und eine Quittung heraus. Klatschend schleuderte sie beides an die Wand und knallte die Tür zu.
Anselm betrat das Krankenzimmer. George war angezogen, hatte die Beine übereinandergeschlagen und baumelte mit dem Bein. Er sah aus wie ein Opa, der mit gespitzten Ohren in einem Wartesaal auf eine Durchsage wartete. Man hatte ihn aufgemöbelt. Den Scheitel hatte sein Haar nicht recht angenommen, aber die Kammlinien fielen auf. Jemand hatte einen alten Blazer aufgetrieben. Auf der Brusttasche prangte ein Wappen mit dem Motto: Legis Plenitudo Caritas. Liebe erfüllt das Gesetz.
Bevor Anselm sich rühren konnte, warf George ihm einen flüchtigen Blick zu und verzog das Gesicht. Trotz der Schuhe rutschten seine Füße weg, und er stützte sich fest auf die Armlehnen. Knochige Schultern fingen die Last des Aufstehens ab. Noch ehe Anselm ihn daran hindern konnte, stand George aufrecht und streckte die Hand aus. »Elizabeth hat gesagt, dass Sie kommen würden«, rief er.
Anselm spürte den Händedruck. Er war sicher und kräftig. Er wandte den Blick von den klaren Augen, die nichts als den Himmel erkennen ließen.
»Das Komische ist nur …«, George lachte leise über den kommenden Witz, »ich weiß nicht mehr genau,
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