Patient Null
trommeln. »Ich kann mich immer noch nicht mit der psychologischen Beurteilung seines Charakters anfreunden. Ich befürchte, dass wir es bei ihm mit einer tickenden Zeitbombe zu tun haben könnten.«
»Sie sollten sich Ihre eigene Beurteilung ansehen, Grace. Und zwar die jüngeren Datums«, entgegnete Church und erntete dafür einen vernichtenden Blick. »Seien Sie ehrlich. Wenn wir Bravo- oder Charlie-Teams in St. Michael benutzt hätten, glauben Sie, das Resultat wäre anders ausgefallen?«
Grace kaute einen Moment lang auf ihrer Unterlippe. »Das ist reine Spekulation.«
»Der Meinung bin ich nicht. Sie wissen, dass die Sache mit dem Krankenhaus außer Kontrolle geraten ist, und Sie haben das Video gesehen. Meine Frage ist also durchaus berechtigt.«
»Ich weiß es nicht. Ich denke, wir sollten ihn weiterhin beobachten.«
»Okay«, sagte Church. »Dann tun Sie das.«
Grace nickte, stand auf und verließ das Zimmer.
12
Baltimore, Maryland Samstag, 27. Juni / 18:54 Uhr
Rudy schwieg, als wir zum Geländewagen zurückgingen. Ich schloss auf, aber er schien nicht einsteigen zu wollen, sondern spielte stattdessen mit dem Türgriff herum. »Dieser cabrón Church … Was hältst du von ihm?«
»Das Auto könnte verwanzt sein, Rudy.«
»Scheiß drauf. Beantworte meine Frage, Joe. Ist Church einer der Guten oder der Bösen?«
»Schwer einzuschätzen. Das Einzige, was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass er nicht sonderlich nett ist.«
»Wenn man seinen Beruf in Betracht zieht, ist nett wohl auch ein eher relatives Konzept.«
»Stimmt«, erwiderte ich, setzte mich ins Auto und steckte den Schlüssel in den Anlasser. Dann drehte ich das Radio an. Falls die Karre wirklich verwanzt war, konnte so etwas helfen – obwohl es mittlerweile wahrscheinlich sowieso schon egal war.
»Er verlangt Vertrauen von dir. Viel Vertrauen. Geheime Regierungsbehörde, Zombies … Hattest du zu irgendeinem Zeitpunkt das Gefühl, dass er dich an der Nase herumführt oder hinters Licht führen wollte?«
»Nein«, antwortete ich. »Ich glaube nicht, dass er mich angelogen hat. Aber trotzdem … Ich verstehe das alles nicht. Es ist einfach unmöglich. Es ergibt keinen Sinn, es ist alles zu …« Ich konnte nicht in Worte fassen, was ich empfand. Einen Moment starrte ich vor mich hin. Vögel zwitscherten,
Zikaden zirpten, Kinder schaukelten lachend auf einem Spielplatz in unserer Nähe.
Rudy beobachtete mich. »Du findest es schwer, so etwas zu glauben, wenn du hier sitzt und dieses friedliche Leben siehst?«
Ich nickte. »Was ich sagen will … Ich weiß, dass es real war. Ich war da. Aber ein Teil von mir will auch, dass es nicht real ist.« Er schwieg, also ließ ich nach einer Weile eine weitere Bombe hochgehen. »Church hat übrigens meine psychologischen Gutachten genau gelesen.«
Rudy sah so aus, als ob ich ihm eine Ohrfeige verpasst hätte. »Von mir hat er nichts bekommen.«
»Woher willst du das wissen? Wenn er mit Homeland zusammenarbeitet oder vielmehr ähnliche Möglichkeiten hat, dann ist es für ihn kein Problem, an alle Akten zu kommen, die es so gibt. Solche Leute wissen bereits, dass du krank bist, ehe du auch nur niest.«
»Wenn ich herausfinde, dass da irgendwelche Grenzen überschritten wurden …«
»Dann was? Beschwerst du dich dann? Erstattest du Anzeige? Vergiss es, Rudy. Seit 9/11 ist alles möglich, und Homeland weiß das auch.«
»US Patriot Act«, presste er heraus – so wie manche Leute »Hämorrhoiden« sagen.
»Es ist nicht einfach, Terrorismus zu bekämpfen. Und ohne eine gewisse Ellenbogenfreiheit ist es beinahe unmöglich.«
Er warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Verteidigst du etwa die Verletzung der Bürgerrechte?«
»Nicht direkt. Aber betrachte das Ganze doch mal aus der Sicht der Gesetzeshüter. Terroristen kennen das konstitutionelle Rahmenwerk und den Schutz, den es bietet. Sie wären dumm, nicht davon Gebrauch zu machen. Und schau mich nicht so an, ich will es nur gesagt haben.«
»Was gesagt haben?«
»Dass jeder meint, es handelt sich um eine Entweder-Oder-Situation. Tut es aber nicht. Das Ganze ist viel komplizierter. Und das weißt du.«
»Patientenakten sollten unantastbar sein, Amigo.« Das Wort nahm er nur in den Mund, wenn er stinksauer war.
»He, kein Grund, mir an die Gurgel zu wollen. Ich bin auf deiner Seite, vergiss das nicht. Aber vielleicht solltest du auch mal die Sicht der anderen in Betracht ziehen.«
»Die anderen können mich mal …«
»Vorsicht,
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