Patient Null
Junge. Das Auto könnte von unten bis oben verwanzt sein.«
Rudy lehnte sich vor zum Armaturenbrett und sagte laut und deutlich: »Mr. Church, Sie können mich mal am Arsch lecken.« Er wiederholte es noch einmal, diesmal in Spanisch. »¡Besa mi culo!«
»Ist ja gut. Lass dir eines gesagt sein: Falls du plötzlich verschwindest, hat das nichts mit mir zu tun.«
Er lehnte sich wieder auf seinem Sitz zurück und sah mich nachdenklich an. »Ich werde heute noch drei Dinge erledigen: Erstens mein Büro Zentimeter um Zentimeter durchsuchen, und falls ich etwas finde, was nicht genau dort ist, wo ich es hingelegt habe, rufe ich die Polizei, meinen Anwalt und meinen Kongressabgeordneten an.«
»Viel Glück.«
»Zweitens werde ich alles über Prionen herausfinden, was ich kann. Vor allen Dingen will ich wissen, ob sie dazu in der Lage sind, das zentrale Nervensystem wiederzubeleben. Vielleicht gibt es ja die eine oder andere Studie darüber.«
»Und was noch?«
»Und drittens gehe ich heute Abend in die Kirche und zünde eine Kerze an.«
»Für Helen?«
»Für dich, Cowboy. Und für mich … Und für den Rest der Menschheit.«
Während der Fahrt zurück schwiegen wir.
13
Gault und Amirah / Im Bunker Sechs Tage zuvor
Nachdem El Mudschahid mit seinen Soldaten verschwunden war, gab es außer Gault nur noch sechs Leute im Lager: vier Wachleute, einen Bediensteten und Amirah. Amirah war El Mudschahids Frau und die Leiterin von Gaults geheimer Forschungsabteilung im Mittleren Osten. Sie war eine ausgesprochen hübsche und ausgezeichnete Wissenschaftlerin, deren Verständnis von Krankheitsbildern und ihren Auswirkungen etwas geradezu Mystisches hatte.
Während Gault darauf wartete, dass Amirah bei ihm erschien, schaltete er seinen PDA an, um sich die Dateien anzuschauen, die ihm der Amerikaner inzwischen geschickt hatte. Es handelte sich hauptsächlich um offizielle Berichte über den Einsatz der Taskforce. Alles war mehr oder weniger nach Plan verlaufen, aber davon wusste der Amerikaner natürlich nichts. Es gab vieles, was er dem nervösen Mann lieber nicht mitteilte. Allerdings verstand Gault nicht ganz, warum die Behörden die Krabbenfabrik noch nicht hochgenommen hatten. Er musste unbedingt Toys beauftragen, das herauszufinden.
Der Zelteingang wurde aufgerissen. Gault drehte sich um und sah sie vor sich. Für einen Augenblick verschwanden alle Gedanken an Angriffspläne, Intrigen und Komplotte aus seinem Kopf.
Amirah war schlank, mittelgroß und trug eine schwarze Burka, so dass allein ihre Augen zu sehen waren. Auf einem Basar oder einer belebten Straße wäre sie vielleicht in der Menge untergegangen. Es sei denn, ein Mann – ein armer Teufel – hätte in ihre Augen geschaut. Diese Frau vermochte den Straßenverkehr allein mit ihren Augen nicht nur lahmzulegen, sondern in ein Chaos zu stürzen. Gault hatte es selbst erlebt. Unterhaltungen zwischen Männern
verstummten, sobald Amirah den Raum betrat. Andere, die so unglücklich waren und ihr in die Augen gesehen hatten, knallten gegen Mauern oder Laternenpfähle. Es war stets eine merkwürdige und leicht beunruhigende Szene, die sich bot, wenn Amirah auftrat. Denn das Verhalten der meisten Männer verstieß unweigerlich gegen muslimische Traditionen. Einer Frau einmal in die Augen zu sehen, war durchaus akzeptabel. Es ein zweites Mal zu tun, galt als haram , als ein gesellschaftlicher wie auch religiöser Fauxpas, der ein ernstes Nachspiel haben konnte, besonders in so traditionellen Kreisen, in denen sich El Mudschahid bewegte. Und trotzdem gab es keinen Mann, zumindest keinen, den Gault getroffen hatte, der in ihre Augen geblickt hatte und nicht von ihr verzaubert gewesen wäre.
Es ging dabei nicht um Sex. Schließlich war das Einzige, was man von Amirah zu sehen bekam, ihre Augen. Im Mittleren Osten gab es zudem Tausende von Frauen mit schönen Augen. Nein, das, was mit den Männern geschah, ging tiefer als Sex. Viel tiefer. Tiefer sogar als Religion. Es ging um Macht. Um eine greifbare, alles erfassende Macht – und sie lag in Amirahs Augen, als ob ihre Augen Fenster zum Kern eines nuklearen Hochofens wären.
Gault hatte sie zwei Monate, ehe die Amerikaner in den Irak einmarschierten, kennengelernt. Es war auf einer Antikoalitionsdemo in Tikrit gewesen. Er war damals mitgegangen, denn sein Ziel war es, Rekruten für sein Vorhaben anzuwerben. Außerdem hatten ihm Informanten mitgeteilt, dass ihn jemand kontaktieren würde, der in Verbindung mit El
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