Patterson James
Lieblingsgeste, wenn ihm irgendetwas besonders verrückt
erschien –, doch er setzte sich zu seiner Schwester. »Und was
jetzt?«, wollte er wissen.
»Wir sprechen zu ihr. Es ist eine Carolinataube, und sie hat
einen ganz charakteristischen klagenden Ruf. Ooorrruuuu!
Ooorrruuuu! « .
» Ooorrruuuu? « , fragte Matthew verächtlich schnaubend.
»Ganz genau, Matthew. Du hast es raus!«, ermutigte ihn seine
Schwester.
» Ooorrruuuu. «
» Ooorrruuuu. «
Es dauerte zwei Minuten, doch schließlich nahm die Taube
Notiz von den Geschwistern. Sie wollte sich nichts anmerken
lassen, doch sie beobachtete die Menschen unauffällig. Und sie
warf sich nicht mehr gegen das Panoramafenster. Sie flatterte
wild, aber sie rannte sich nicht mehr den Schädel an der
Glasscheibe ein.
» Ooorrruuuu « , flüsterten Matthew und Max abwechselnd.
» Ooorrruuuu. «
»Komm schon, Süße, hier entlang. Du schaffst es«, lockte
Max.
» Ooorrruuuu. «
»Hier geht es raus. Komm her zu uns. Hier geht es nach
draußen.«
» Ooorrruuuu. «
» Ooorrruuuu. «
»Es ist wirklich ganz einfach, du dummes Tier!«, rief Matthew
frustriert. »Komm hierher! Hier geht es nach draußen!«
»Leise, Matt. Sie ist eine Mutter. Sie hat Angst um ihre
Jungen. Du musst Geduld haben mit ihr.«
» Ooorrruuuu. «
» Ooorrruuuu. «
» Ooorrruuuu. «
» Ooorrruuuu. «
Dann, ganz plötzlich und ohne ein Dankeschön, flatterte die
Carolinataube über ihre Köpfe hinweg durch die Balkontüren
nach draußen. Sie flog mit absoluter Höchstgeschwindigkeit
über den Teich und verschwand in dem Pinienwäldchen
dahinter.
Als Terry Marshall endlich wieder ins Zimmer kam, um
nachzusehen, saßen Matthew und Max am Boden und flüsterten
immer wieder leise » Ooorrruuuu « .
»Wie eigenartig«, sagte die leibliche Mutter der beiden. »Ihr
seid wirklich merkwürdig, wisst ihr das?«
Frannie hat dich gewarnt, entgegnete Max in Gedanken.
Nach der Vormundschaftsverhandlung fuhr ich nach Hause
zurück, um mein Leben in der wunderschönen ländlichen
Gegend von Colorado wieder in geordnete Bahnen zu führen.
Kit fuhr nach Washington, D.C.
Ich bin nicht sicher, ob einer von uns beiden wusste, warum
wir uns trennten, doch ich glaube, es hatte etwas mit dem
Verlust der Kinder zu tun und mit der Notwendigkeit zu trauern.
Kit sagte, dass er in Washington zu tun hätte, wenigstens für den
Augenblick, doch er würde häufig zu mir kommen und mich
besuchen, so oft es nur ginge.
Zu Anfang telefonierten wir miteinander und schickten uns EMails, doch er besuchte mich nicht ein einziges Mal. Ich glaube,
wir versanken in richtige Depressionen. Es war nicht schön,
doch ich schätze, es war verständlich und menschlich, auch
wenn es feige und dumm war von uns beiden, sowohl von ihm
als auch von mir.
Das Leben in Colorado ging weiter, auch wenn es ein
merkwürdiges, trauriges Ereignis gab – eine gute Freundin von
mir war wie vom Erdboden verschwunden. Jessie Horvath war
gestern noch da gewesen, und heute war sie fort, ohne die
geringste Spur zu hinterlassen.
Es war Sonntagnachmittag gegen vier, und ich steckte bis zu
den Ellbogen in Blut und Eingeweiden. Meine übliche Arbeit in
der Tierklinik.
Der Raum, in dem ich arbeitete, diente als OP-Saal,
Untersuchungszimmer und Arzneimittellager gleichzeitig.
Ringsum an den Wänden lagerten Utensilien, angefangen bei
Wattebäuschen und Zungenspateln bis hin zu Hunderten von
Plastikfläschchen mit den verschiedensten Pillen, ausnahmslos
weiß. Ein einziges gerahmtes Bild hing an der Wand; es war ein
Zeitungsfoto, das mich an der Spitze des Cause for Paws Hike,
einer Benefizveranstaltung in Boulder, zeigte.
Auf dem Rand des Spülbeckens lag ein halb aufgegessenes
Tunfischsandwich, das ich mittags dort hatte liegen lassen, als
eine Frau vom Katzenschutz eine Wagenladung weiblicher
Katzen zur Kastration vorbeigebracht hatte.
Gott sei Dank war das Ende der Arbeit in Sicht.
Ich nähte meine neunte und letzte Patientin wieder zu, eine
große streunende Katze namens Sophie, als draußen ein
gottloser Lärm aufbrandete.
Es war eine extrem laute Polizeisirene – und der Wagen hielt
direkt vor meiner Tür.
Hoffentlich hatte nicht wieder jemand mit einem
Geländewagen einen Hirsch oder ein Pferd angefahren.
Eindeutig handelte es sich um einen Notfall.
Verdammt! Das konnte ich nun wirklich nicht mehr
gebrauchen.
Ich verknotete den letzten Faden in Sophies Naht, legte sie in
einen Käfig mit einer kuscheligen rosafarbenen
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