Patterson James
der in das Körpergefieder überging und der armen
Kreatur das Aussehen eines müden alten Mannes in einem
halben Gorillaanzug verlieh.
»Ein hübscher Bursche«, sagte Blake.
Ich musste lachen. »Jedenfalls ist es ein ziemlich seltener
Bursche, so viel steht fest. Es gibt nur noch etwa hundertsechzig
auf der Welt, und davon lediglich sechzig in freier Wildbahn.
Die übrigen hundert sitzen in irgendwelchen Brutgehegen.«
Es war die traurige Wahrheit. Früher waren die Kalifornischen
Kondore weit verbreitet gewesen, doch bis 1987 waren alle bis
auf ein klägliches Dutzend gewildert, vergiftet oder
abgeschossen worden. Nur mit Hingabe und harter Arbeit war es
gelungen, ihre Zahl in Gefangenschaft wieder auf den
gegenwärtigen Bestand zu bringen.
Das Tier besaß einen orangefarbenen Ring an seinem
gesunden Flügel, der mir verriet, dass es aus der Kolonie bei den
Vermillion Cliffs im nördlichen Arizona kam, etwa fünfhundert
Kilometer von hier entfernt. Das war für einen Kondor kaum
mehr als ein kurzer Spaziergang. Sie konnten stundenlang in den
Luftströmungen schweben, ohne auch nur einen einzigen
Flügelschlag, und dabei Geschwindigkeiten von achtzig und
mehr Kilometern in der Stunde erreichen.
Dieses spezielle Exemplar hier jedoch würde vielleicht nie
wieder fliegen. Die Kugel des Jägers hatte seinen Flügel
zerschmettert, und ich war nicht sicher, ob ich ihn wieder so
weit zusammenflicken konnte, dass er zu gebrauchen war.
Der Kondor öffnete den Schnabel und krächzte mich an, als
hätte er meine Worte verstanden. »Schon gut, Junge«, sagte ich
beruhigend. »Drücken wir ihm die Daumen, James«, wandte ich
mich an den Trooper. »Er hat eine Menge Blut verloren. Ich
werde mein Bestes tun, aber vielleicht reicht es nicht.«
James H. Blake seufzte. »Ich nehme diese beiden bösen Buben
mit auf die Station«, entgegnete er. »Mal sehen, womit ich sie
bestrafen kann.«
»Nur zu. Meine Einwilligung haben Sie. Ich hoffe auf
fünfzehn Jahre bis lebenslänglich.«
Er grinste. »Sie sind ein Softie, Frannie. Ich melde mich
wieder bei Ihnen.«
»Ich bin ein Softie, da haben Sie Recht. Sie wissen ja, wo Sie
mich finden.« Doch als ich das sagte, hatte ich Trooper James
H. Blake schon fast wieder vergessen.
Ich rieb mir die Hände mit Desinfektionsmittel ein und machte
mich an die Arbeit. Arbeit war das Einzige, was mich in letzter
Zeit ablenken konnte. Es hielt mich vom Nachdenken ab.
Meine Müdigkeit war einer nervösen Aufregung gewichen.
Und Angst.
Eine Operation an diesem seltenen Vogel bedeutete eine große
Verantwortung, und ich musste sie ohne Hilfe durchführen. Die
Hunde in den Pflegezimmern bellten noch immer, was das Zeug
hielt, also drehte ich das Radio laut und suchte einen guten
Sender. Es beruhigte meine Nerven und die des Vogels
wahrscheinlich auch. Ich erkannte eine Auskopplung aus dem
letzten Album von Moby. Gute Wahl – ich mochte diese Art
von Musik sehr.
Ich leuchtete dem Kondor in die Augen und hoffte auf einen
Reflex. Es gab keinen. Der Zustand des Vogels verschlechterte
sich von Sekunde zu Sekunde.
»Komm schon, mein großer Junge«, sagte ich. »Lass mich
jetzt nicht im Stich. Du hast ein verdammt großes Herz. Zeig es
mir.«
Ich schob dem Tier eine Maske über den Schnabel und drehte
die Flasche mit der Isofluoran-Mischung auf. Das Gas zischte
durch den Plastikschlauch.
Erst als der Vogel betäubt war, wagte ich, den Schlafsack ganz
zu öffnen und das Tier auf den Untersuchungstisch zu legen.
Vorsichtig untersuchte ich den zerschmetterten Flügel.
Wie ich vermutet hatte, stand er in einem unnatürlichen,
grotesken Winkel vom Gelenk ab. Ich schob die Federn von der
verletzten Stelle und bemerkte, dass der gebrochene Knochen
sich durch die empfindliche, pergamentdünne Haut gedrückt
hatte. Schlimmer noch, die Wundränder hatten angefangen, sich
grünlich zu verfärben.
Es war eine schwere Verletzung, so viel stand fest.
Ich hoffte, dass es mir gelang, das Tier am Leben zu halten.
Doch ich machte mir auch Sorgen, dass es nie wieder würde
fliegen können und dass es zu einem Leben im Käfig verdammt
war.
Während aus dem Lautsprecher des Radios die Stimme von
Macy Gray drang, kramte ich in meinen Schränken über dem
Spülbecken nach den Dingen, die ich benötigen würde. Ich
mochte Macy ebenfalls. Das Problem beim Zusammenflicken
gebrochener Flügel ist, dass sie hohl sind und man keine
Metallnägel einsetzen kann. Ich hatte viel an
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