Patterson, James - Alex Cross 02 - Denn Zum Küssen Sind Sie Da
Die meisten Frauen waren elegant gekleidet. Auf der Marmorbank neben ihm lagen zusammengefaltete Ausgaben von Times und USA Today. Die Zeitungsschlagzeile lautete: GENTLEMAN SCHLÄGT IN L. A. ZUM SECHSTEN MAL ZU. Er dachte, der »Gentleman« drehe in Südkalifornien jetzt durch. Er nahm makabere Andenken mit, brachte manchmal zwei Frauen in der Woche um und trieb törichte Spielchen mit der Los Angeles Times, der Polizei von Los Angeles und dem FBI. Sie würden ihn erwischen.
Casanovas blaue Augen schweiften durch das belebte Einkaufszentrum. Er war ein attraktiver Mann, wie es auch der echte Casanova gewesen war. Die Natur hatte den Abenteurer aus dem achtzehnten Jahrhundert mit Schönheit, Sinnlichkeit und großer Begeisterungsfähigkeit für Frauen ausgestattet – und das galt auch für ihn.
Wo blieb denn die bezaubernde Anna? Sie war in Victoria’s Secret verschwunden – zweifellos, um etwas Verrücktes für ihren Freund zu kaufen. Anna Miller und Chris Chapin hatten gemeinsam an der North Carolina State University studiert. Chris war jetzt Partner in einer Anwaltskanzlei. Sie trugen gern Kleider des anderen. Kleidertausch zum Aufgeilen. Er wußte alles über die beiden. Er hatte Anna seit fast zwei Wochen beobachtet, wann immer er konnte. Sie war eine aufregende, dunkelhaarige dreiundzwanzigjährige Schönheit, vielleicht keine zweite Dr. Kate McTiernan, aber fast.
Er beobachtete, wie Anna schließlich Victoria’s Secret verließ und fast direkt auf ihn zukam. Durch das Klacken der hohen Absätze klang sie wunderbar hochmütig. Sie wußte, daß sie eine außergewöhnliche junge Schönheit war. Das war das Beste an ihr. Ihr starkes Selbstbewußtsein kam fast dem seinen gleich. Sie hatte einen hübschen, arroganten, langbeinigen Gang. Vollkommene schlanke Formen am ganzen Körper. Die Beine steckten in dunklen Nylonstrümpfen; die hohen Absätze trug sie wegen ihrer Teilzeitarbeit als Anwaltshelferin in Raleigh. Gemeißelte Brüste, die er liebkosen wollte. Unter dem hautengen hellbraunen Rock konnte er die Umrisse ihrer Unterwäsche sehen. Warum war sie so provozierend? Weil sie provozieren konnte. Sie wirkte außerdem intelligent. Jedenfalls vielversprechend. Sie hatte die Zulassung zum Juravollstudium nur knapp verpaßt. Anna war herzlich, reizend, eine angenehme Gesellschaft. Eine Frau zum Behalten. Ihr Liebhaber nannte sie »Anna Banana«. Casanova gefiel die reizende, alberne Vertraulichkeit des Spitznamens.
Er brauchte sie nur zu nehmen. So einfach war das. Plötzlich trat eine weitere attraktive Frau in sein Blickfeld. Sie lächelte ihn an, und er lächelte zurück. Er stand auf und streckte sich, dann ging er auf sie zu. Sie trug auf beiden Armen Päckchen und Einkaufstüten.
»Hallo, meine Schöne«, sagte er, als er näherkam. »Kann ich dir was abnehmen? Dir die schwere Last erleichtern, lieber Schatz?«
»Du bist auch ein lieber, attraktiver Kerl«, sagte die Frau zu ihm. »Aber so warst du immer. Und außerdem stets ein Romantiker.«
Casanova küßte seine Frau auf die Wange und nahm ihr die Päckchen ab. Sie sah elegant aus, selbstbeherrscht. Sie trug Jeans, ein weites Hemd, eine braune Tweedjacke. Sie verstand, Kleider gut zu tragen. Sie war in vielerlei Hinsicht effektiv. Er hatte sie mit äußerster Sorgfalt ausgesucht.
Als er ein paar Tüten übernahm, ging ihm ein schöner, erfreulicher Gedanke durch den Kopf: Die würden mich in tausend Jahren nicht kriegen. Sie wüßten nicht, wo sie suchen sollten. Diese wunderbare, wunderbare Tarnung können sie nicht durchschauen, diese Maske der Normalität. Ich bin über jeden Verdacht erhaben.
»Ich habe gesehen, wie du die Kleine beobachtet hast. Hübsche Beine«, sagte seine Frau mit einem wissenden Lächeln und verdrehte die Augen. »Schön und gut, solange es beim Hinschauen bleibt.«
»Du hast mich erwischt«, sagte Casanova zu seiner Frau. »Aber ihre Beine sind nicht so hübsch wie deine.«
Er lächelte auf seine lockere, charmante Weise. Gleichzeitig explodierte in seinem Kopf ein Name. Anna Miller. Er mußte sie haben.
38. Kapitel
Es war ungeheuer schwer.
Ich setzte ein fröhliches, überzeugendes Lächeln auf, als ich durch meine Haustür in Washington ging. Ich brauchte einen freien Tag von der Jagd. Noch wichtiger war, daß ich der Familie ein Treffen versprochen hatte, einen Bericht über Naomis Lage. Außerdem fehlten mir die Kinder und Nana. Ich fühlte mich, als wäre ich in einem Krieg auf Urlaub.
Auf gar keinen Fall
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