Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
Nana schließlich aus der Küche, aus der die Wohlgerüche ihrer Kochkunst strömten. Sie versäumt nicht gern etwas, niemals.
Soweit ich weiß, ist ihr noch so gut wie nie etwas entgangen. »Ein Collegematch«, rief ich ihr zu.
»Du wirst dein letztes Hemd verlieren, wenn du gegen diese beiden kleinen Gelehrten spielst«, warnte sie mich. »Ihr Wissenshunger kennt keine Grenzen. Ihre Kenntnisse werden schon bald enzyklopädisch sein.«
»En-zy-klo-pä-disch!« skandierte Jannie grinsend. »Cakewalk!« befahl sie dann und ging in den lebhaften alten Tanz über, der zu Zeiten der Plantagenwirtschaft entstanden ist.
Ich hatte ihn ihr eines Tages am Klavier beigebracht. Im Grunde ist die Cakewalkmusik ein Vorläufer des modernen Jazz, in ihr verschmelzen Polyrhythmen aus Westafrika mit klassischen Melodien und Märschen aus Europa. Früher gewann derjenige, der den Tanz an einem bestimmten Abend am besten vorführte, einen Kuchen, deshalb heißt der Tanz Cakewalk.
Das alles wußte Jannie, und außerdem verstand sie sich darauf, den Tanz mit ein paar modernen Schlenkern stilvoll vorzuführen. Sie beherrscht auch James Browns berühmten Elephant Walk und Michael Jacksons Moonwalk.
Nach dem Essen spülten wir das Geschirr, und dann war die zweimal pro Woche angesagte Boxstunde im Keller an der Reihe. Damon und Jannie sind nicht nur klug, sie sind auch zähe kleine Wiesel. Niemand in der Schule legt sich mit den beiden an. »Verstand und ein harter linker Haken!« gibt Jannie manchmal mir gegenüber an. »So eine Mischung ist schwer zu schlagen.«
Nach den üblichen Mittwochabendkämpfen kehrten wir schließlich ins Wohnzimmer zurück. Die Katze Rosie lag zusammengerollt auf Jannies Schoß. Wir sahen gerade ein Baseballspiel der Orioles im Fernsehen an, als sich Soneji wieder in meine Gedanken schlich.
Von allen Mördern, gegen die ich je hatte antreten müssen, war er der furchterregendste. Soneji war beharrlich, besessen, aber er war außerdem total durchgeknallt, und das ist der korrekte medizinische Fachausdruck, den ich vor vielen Jahren an der John Hopkins University gelernt hatte. Er hatte von seinem Zorn gespeiste extreme Phantasien, und leider setzte er sie in die Tat um.
Vor Monaten hatte Soneji mich angerufen, um mir zu sagen, er habe als kleines Geschenk die Katze zu unserem Haus gebracht. Er wußte, daß wir die kleine Rosie aufgenommen und sehr lieb hatten. Er sagte, daß ich jedesmal, wenn ich die Katze sähe, denken solle: Gary ist im Haus! Gary ist ganz in der Nähe!
Ich hatte mir zusammengereimt, daß Gary die streunende Katze vor unserem Haus gesehen und einfach eine widerwärtige Geschichte erfunden hatte. Gary log liebend gern, vor allem, wenn seine Lügen jemandem weh taten. Weil Gary nun aber wieder aus dem Ruder lief, kam mir an jenem Abend ein schlimmer Gedanke, als ich Rosie betrachtete. Er jagte mir eine Höllenangst ein.
Gary ist im Haus! Gary ist ganz in der Nähe!
Fast hätte ich die Katze hinausgeworfen, aber das kam nicht in Frage; deshalb wartete ich bis zum Morgen, um mit Rosie zu tun, was geschehen mußte. Dieser gottverfluchte Soneji. Was zum Teufel wollte er von mir? Und was wollte er von meiner Familie? Was konnte er mit Rosie gemacht haben, bevor er sie vor unserem Haus ausgesetzt hatte?
28.
Ich kam mir wie ein Verräter an meinen Kindern und auch an der armen kleinen Rosie vor und fühlte mich wie ein Verbrecher, als ich am nächsten Morgen die achtundfünfzig Kilometer nach Quantico fuhr. Ich mißbrauchte das Vertrauen der Kinder und tat möglicherweise etwas Schreckliches, aber ich hatte keine andere Wahl.
Zu Beginn der Fahrt hatte ich Rosie in einen ekelhaften Metallgitterkasten zum Transport von Haustieren gesperrt. Das arme Vieh schrie, miaute und kratzte mich und die Käfigwände so heftig, daß ich es schließlich herauslassen mußte. »Sei jetzt brav«, verwarnte ich Rosie milde. Doch dann sagte ich: »Ach, mach ruhig Theater, wenn du willst.«
Rosie flößte mir weiterhin ein wahnsinnig schlechtes Gewissen ein und brachte mich dazu, daß mir elend zumute war. Offensichtlich hatte sie diese Lektion bestens von Damon und Jannie gelernt. Dabei wußte sie nicht einmal, wie wütend sie eigentlich auf mich hätte sein müssen. Vielleicht aber doch.
Katzen sind intuitiv.
Ich hatte Angst davor, daß die schöne rotbraune Abessinierin eingeschläfert werden mußte, möglicherweise noch gleich heute morgen. Ich wußte nicht, wie ich das den Kindern erklären
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