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Patty Janes Frisörsalon

Patty Janes Frisörsalon

Titel: Patty Janes Frisörsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Landvik
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der sich nach ihr umdrehte. Im Schein des grauen Tageslichts, das sich mit der Neonbeleuchtung der Kneipe mischte, wirkte dieses Gesicht ölig und bleich, eingefallen von Alter und Krankheit. Harriet sah das glanzlose, schwarzgefärbte Haar, doch darunter blickten sie die traurigen, noch immer leuchtend blauen Augen ihres Schwagers, Thor Rolvaag, an.
    Die Tür fiel krachend zu und zerschnitt Thors zurückgewandten Blick. Harriet stand wie angewurzelt da, bis sie merkte, daß unter ihrem Regenmantel ein Rinnsal an ihren Beinen hinunterlief.
    Reese war im Revier und schlug mit der Faust gegen einen Automaten, der ihm ein Päckchen Kaugummi verweigerte, als ein Kollege ihm meldete, er werde am Telefon verlangt. Clyde Chukas Stimme klang erregt. Er bat Reese, sofort zum Come Right Inn zu kommen. »Keine Sorge, Reese«, sagte er hastig, »Harriet geht es gut. Ich meine, sie hat nicht getrunken. Wir brauchen dich hier nur möglichst schnell.« Er räusperte sich. »Und könntest du für Harriet ein paar Sachen mitbringen, eine Hose und Unterwäsche und ein paar Sokken?«
    Als Reese Brown in die Kneipe stürzte, zuckte Augie zurück und duckte sich hinter den Tresen.
    Â»Keine Aufregung«, rief ein Gast lachend. »Der ist nur mit einer Papiertüte bewaffnet.«
    Â»Mein Gott, ich hab mir die schlimmsten Dinge vorgestellt«, sagte Reese, als er vor Harriet auf die Knie fiel. »Ich bin so froh, daß du nicht getrunken hast.«
    Â»Reese, ich habe Thor gesehen«, sagte Harriet.
    Â»Thor? Patty Janes ...«
    Â»Er hat ausgesehen wie ein Gespenst«, fuhr Harriet fort. »Nein, ein Gespenst hätte besser ausgesehen.« Sie sah auf die große Papiertüte hinunter. »Ich hab mir in die Hose gemacht, Reese. Ich hab mir vor Schreck in die Hose gemacht.«
    Â»Ich weiß nicht, wie wir es Patty Jane sagen sollen«, bemerkte Clyde Chuka. »Oder Ione – und, o Mann, was ist mit Nora?«
    Â»Mit wem war Thor denn hier?« fragte Reese. »Warum habt ihr ihn nicht aufgehalten?«
    Â»Ich habe ihn nicht gesehen. Nur Harriet hat ihn gesehen. Gerade als er mit irgendeiner Verrückten rausging, mit der meine Mutter aneinandergeraten war.« Clyde Chuka verdrehte die Augen. »Meine Mutter war auch hier, aber sie ist abgehauen, als ich ihr erklärt hab, wer Thor ist. ›Die Gespenster von Weißen sind Gesandte aus der Geisterwelt‹, sagte sie.« Er rieb sich den Nacken. »Als ich begriffen habe, wovon Harriet redete, bin ich rausgerannt, aber die Straße war leer.«
    Reese ging zum Tresen und zog ein kleines Notizbuch aus seiner Tasche. »War der Mann schon früher mal hier? Wissen Sie seinen Namen?«
    Augie schüttelte den Kopf.
    Â»Und die Frau, mit der er hier war?«
    Â»Eine Irre. Aber wenigstens zahlt sie immer, was ich nicht von allen sagen kann.«
    Â»Hat sie einen Namen?«
    Â»Ja. Temple.«
    Der Wirt wischte sich die Hände an einem feuchten grauen Geschirrtuch ab. »Temple Curry. Sie ist Ärztin. Oder war’s mal. Sie hat mir irgendwann mal ihre Zulassung gezeigt. Hat sie mir hier auf den Tresen gelegt.«
    Â»Danke«, sagte Reese. Sein Finger glitt die schmalen Spalten eines Telefonbuchs hinunter, das er sich hatte geben lassen. Er schrieb eine Adresse nieder und rief Clyde Chuka und Harriet, die gerade aus der Toilette gekommen war, zu: »Los, jetzt holen wir Thor.«

22
    REESE hielt in der West River Road vor einem stattlichen Haus im Kolonialstil, das inmitten einer weiten Rasenfläche stand, mit Blick auf den Mississippi und St. Paul.
    Â»Menschenskind«, sagte Harriet leise. »Sind wir hier wirklich richtig?«
    Reese warf einen Blick auf die Adresse, die er sich in ein Notizbuch geschrieben hatte, und nickte.
    Clyde Chuka pfiff leise. »Sie ist also nicht nur verrückt, sondern auch reich.«
    Der späte Nachmittag begann sich zu verdunkeln. Der Regen hatte aufgehört, aber die Luft war noch feucht und der Himmel von vereinzelten dunklen Wolken gesprenkelt.
    Als Harriet die Backsteintreppe hinaufstieg, dachte sie, diese Villa war sicher doppelt so groß wie die Flotte Locke und Reeses Haus zusammen. Vor den Fenstern flatterten grüne Markisen im Abendwind.
    Sie blieben einen Moment vor der schweren Eichentür stehen, ehe Reese läutete. Irgendwo im Inneren bimmelte ein Glockenspiel.
    Die Tür wurde vorsichtig aufgezogen und gleich wieder zugestoßen,

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