Patty Janes Frisörsalon
Tag, an dem sie sie publik machen würde, schon selbst erzählt.
»Das Haus, in dem drei von Ihnen mich vorhin überfallen haben«, begann sie, »gehört meiner Familie seit fünfzig Jahren. Mein Vater Jerod war Arzt und Anwalt, Sie sehen also, ich komme aus bestem Stall.« Ein wieherndes Lachen folgte ihren Worten. »Aber die Ausübung des Arztberufes garantiert einem natürlich nicht unbedingt körperliche oder geistige Gesundheit, nicht wahr?
Ich war verdammt einsam als Kind â keine Schwestern, keine Brüder, keine Freunde. Immerhin haben meine Eltern mich zum Studium ermutigt, und 1945 wurde ich selbst Ãrztin â Zahnchirurgin. Mein Vater war inzwischen gestorben, und meine Mutter, die Angst vor dem Alleinsein hatte, drängte mich, meine Praxis in ihrem Haus zu eröffnen.«
Temple Curry hätte sich kein aufmerksameres Publikum wünschen können; es war mucksmäuschenstill im Zimmer. Sie zog den Ohrensessel zum Couchtisch, setzte sich hin und legte dabei die FüÃe auf den Tisch. Ihre Schuhe waren voller Matsch â sie hatte schon auf dem Teppich ihre Spuren hinterlassen â, aber nicht einmal Ione protestierte. Temple wischte sich mit dem Blusenärmel über die Nase.
»Wissen Sie, meine Mutter brauchte dauernde Betreuung, und das war schwierig â sie war vorzeitig senil geworden. Sie hat oft stundenlang unter dem Klavierschemel gelegen ... wie dem auch sei â«, sie holte tief Atem, »es kann mir, finde ich, keiner verübeln, daà ich einen Teil dieser ständigen Spannung durch meine Arbeit abgelassen habe. Einmal habe ich so einer pingeligen Lehrerin den falschen Backenzahn gezogen. Dann habe ich bei völlig gesunden Zähnen Wurzelbehandlungen gemacht. Als ich schlieÃlich bei einem Patienten die oberen und die unteren Backenzähne gezogen habe, ohne den impaktierten Weisheitszahn anzurühren, war mir klar, daà irgendwas nicht stimmte. Die Anwaltskanzlei meines Vaters hat mich hervorragend vertreten, aber am Ende wurde mir doch die Zulassung entzogen.
Und darum weià ich, daà ich nicht verrückt bin, weil ich mir vollkommen im klaren darüber bin, daà ich nicht alle Tassen im Schrank habe.«
Sie nickte Thor zu, dem das Kinn auf die Brust gesunken war. Er schnarchte friedlich schlafend.
»Kurz nach acht, und er schlummert wie ein Engel.«
»Was haben Sie mit ihm gemacht?« fragte Ione. Ihre Stimme war sanft, aber hinter dem sanften Ton schwang eine Drohung.
Die Frau schüttelte ihr wildes graues Haar. »Darauf komme ich gleich«, sagte sie gereizt wie zu einem Zwischenrufer aus dem Publikum.
»Im selben Jahr hab ich meine Praxis und meine Mutter verloren â Herzinfarkt, es ging ganz schnell. Aber dann haben mir an einem schönen Wintermorgen die Götter den nordischen König Thor gesandt.«
Spannung baute sich im Zimmer auf, und Temple Curry saà einen Moment ganz still, um zu genieÃen, daà sie sie alle in ihren Bann geschlagen hatte.
»Ich hatte mir angewöhnt, auf den Hügeln vor meinem Haus und den Häusern meiner Nachbarn Schlitten zu fahren ... In aller Frühe, bei Morgengrauen, wenn ich den Schnee und die Kälte ganz für mich allein hatte. Ich hatte einen wunderbaren Schlitten, er hatte früher meinem Vater gehört, und das Schlittenfahren war eines der wenigen Dinge, die mir wirklich Freude gemacht haben. Ja, und eines Tages, als ich nach einer herrlichen schnellen Fahrt meinen Schlitten gerade wieder hochziehen wollte, sah ich drüben auf dem Boulevard einen Mann hüpfen und springen und über den Schnee schlittern. Hallo, dachte ich mir, das ist einer nach meinem Geschmack. Ein Elf. Ein Elf, der im Licht der Morgendämmerung tanzt und springt. Aber plötzlich machte es platsch, und ich sah ihn durch die Luft fliegen und mit dem Kopf voraus gegen einen Baum prallen. Mir ist fast das Herz stehengeblieben, als ich diesen Prachtburschen da auf dem Eis liegen sah wie Dornröschens groÃen Bruder.
Natürlich hab ich mir sofort gedacht, daà das nur ein Zeichen Gottes an mich persönlich sein könnte. Ich hab ihn auf den Schlitten gewälzt und nach Hause gezogen.«
»Er war bewuÃtlos?« flüsterte Patty Jane.
»Oh, fast zwei Tage lang.«
»Und Sie haben keine Hilfe geholt?« Es sah aus, als wäre sie aus ihrem Sessel herauskatapultiert worden, so mächtig war der
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