Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
machte Bambiaugen.
DeLange blickte um sich. Niemand zu sehen. Auch Blumenkron nicht.
»Kennen Sie den Mann?«
»Vielleicht. Ja. Wenn es ihn überhaupt gibt.«
DeLange kam sich seltsam vor. Sie standen da, eng umschlungen, wie ein Liebespaar. Ein nicht mehr ganz junger Mann und eine ziemlich viel ältere Frau. Aber zu seinem Erstaunen fühlte es sich gut an, sie im Arm zu halten.
»Ist er noch da?« Sie fragte mit Kleinmädchenstimme.
»Der große böse Wolf?«
Sie lachte. Sie löste sich von ihm.
Ihr Auto stand tatsächlich ganz am Ende des Hofs. Und was für ein Auto! Er mußte sie völlig entgeistert angesehen haben.
»Wollen Sie ihn fahren?« Kein kleines Mädchen mehr. Eine Frau, die weiß, worauf Männer stehen. Auf ein Auto wie dieses hier.
Der rote Mercedes war ein berühmt-berüchtigtes Modell, das er verdammt gut kannte. Ein kleiner, solider, wendiger, hübscher Roadster. Die Kiste gehörte eigentlich ins Polizeimuseum, stellvertretend, dorthin, wo noch immer ihr Schädel ausgestellt war, der, wenn es nach ihm ginge, schon längst begraben worden wäre. Der Schädel des Mädchens Rosemarie. Das Auto der Rosemarie Nitribitt: ein Mercedes 190 SL, Jahrgang 1963.
Der einzige Unterschied: Die Nitribitt fuhr ihn in Schwarz und ohne Verdeck.
Sophie Winter hielt ihm den Schlüssel hin. DeLange zögerte einen Moment. Dann öffnete er ihr den Schlag und stieg ein. Auf der Fahrerseite.
8
»Warum wird man Polizist?« Ich mag eigentlich keine, dachte Sophie. Ich habe meine Gründe dafür.
»Was glauben Sie?«
Er bewegte den Schaltknüppel, als ob er beim Getriebe höflich anfragte. Das war angenehm. Auch daß er die Haare viel zu lang trug und sich einen Dreitagebart erlaubte, was sie eigentlich gar nicht mochte, aber es stand ihm.
»Wollen Sie eine ehrliche Antwort?«
Ein kantiges, vernarbtes Gesicht mit langem Kinn. Und dann die Augen: nicht hellbraun, wie ihre, sondern dunkel, tiefliegend, etwas beunruhigend. Wie der ganze Mann.
Sie nickte. Und hoffte, daß er etwas anderes zu bieten hatte als das tief betroffene Geschwätz in den Fernsehkrimis: daß er die Schwachen schützen wolle. Und für die Gerechtigkeit sei. Wer war das schließlich nicht.
»Weil es besser ist, Polizist zu werden, als im Knast zu landen.«
Er manövrierte durch den Stau auf dem Alleenring, als ob er mit der Eleganz des Autos wetteifern wollte. Geschmeidig. Mit gerade dem richtigen Kick, was das Gasgeben betraf. Bei der Hansaallee fuhr er eine Schleife auf die Eschersheimer. Rechts vor ihnen lag das neue Polizeipräsidium. Schade, dachte Sophie.
»Weil ich schon mit 14 ein kleiner Gauner war und mit 15 nicht mehr daran glaubte, das Talent zum großen Gauner zu haben.« Er fuhr auf den Parkplatz, bremste, stellte den Motor aus, drehte sich zu ihr und sah sie an. Dann lächelte er. »Mittlerweile gibt es auch noch ein paar bessere Gründe.«
Wahrscheinlich durfte man ihn nicht reizen. Bestimmt war er eitel, so wie er sich kleidete. Sicher war er launisch. Autoritär. Und doch hatte sie sich bei ihm beschützt gefühlt. Das waren widersprechende Eindrücke, die sie irritierten.
»Darf ich Sie auch etwas fragen?«
Sie nickte.
»Ein zwölfjähriger Junge wird vermißt. Mich beschäftigt das.« Er hielt den Autoschlüssel in den langen Fingern, er schien ihn zu streicheln. »Daß Menschen einfach so verschwinden und nicht wieder auftauchen – das hat mich schon immer beschäftigt.« Sie mußte zu intensiv auf seine Hände gestarrt haben, denn er zuckte fast schuldbewußt zusammen und reichte ihr den Schlüssel.
»Ihr Buch erinnert mich an etwas. Beziehen Sie sich darin auf eine wahre Geschichte?«
Warum fragen sie alle das gleiche, dachte sie.
»Natürlich ist ein Roman Literatur, also Fiktion – aber vielleicht hat Sie irgend etwas inspiriert? Vielleicht ist nicht alles erfunden?«
Wirklich, erfunden, wahr, gelogen. Warum?
»Wir können mit den heutigen Methoden viele alte Fälle aufklären. Manchmal denke ich …«
Und welche Botschaft ist die wirkliche, wahre, wahrhaftige? Die neuen Zeichen auf dem Pergament oder die alte Schrift, die langsam wieder an die Oberfläche steigt?
Sie schüttelte stumm den Kopf. Er fragte nicht weiter. Er war verlegen, als er ihr aus dem Auto half. Sie senkte den Kopf, als sie sich verabschiedeten.
Wie in Trance steuerte sie das Auto aus der Stadt heraus. Sie wäre gerne weiter mit ihm gefahren. Vielleicht hätte er irgendwann zu fragen aufgehört.
Es war noch viel zu früh, die
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