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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Lesung begann erst in vier Stunden. Der Ort lag auf halber Strecke zwischen Frankfurt und Klein-Roda, man war in einer guten halben Stunde da. Aber sie hatte ja auch nicht die Absicht gehabt, den Drehort so früh zu verlassen. Irgendwie war alles schiefgelaufen. Erst das verunglückte Gespräch mit dem Journalisten, wie hieß er noch? Egal. Und dann Verfolgungswahn. Was war das bloß? Ihre Sinne waren überreizt. Sie brauchte Urlaub. Und vielleicht – hatte der Sturz im Sturm doch wesentliche Körperteile beeinträchtigt. Zum Beispiel den Kopf.
    Regine würde tief gekränkt sein, wenn sie ihr erzählte, wie das Interview verlaufen war. Und daß sie den Regisseur hatte stehenlassen und geflohen war.
    Und wenn der Polizist nicht gewesen wäre … Er hatte ihr gefallen. Obwohl ihr schon lange kein Mann mehr gefiel.
    Eine Ampel. Gelb. Dann Rot. Sophie bremste.
    Irgend etwas geschah mit ihr, das sich ihrer Kontrolle entzog. Sie hatte das Gefühl, daß etwas nach ihr griff, etwas Dunkles. Tu was dagegen, Sophie, dachte sie. Sie legte die Stirn auf das Lenkrad und atmete tief durch. Wehr dich.
    Hinter ihr hupte es. Sie schrak hoch, legte die Kupplung ein, würgte den Motor ab. Jetzt hupten alle.
    Rechts ab in die Hügelstraße, zum Autobahnzubringer. Die Abfahrt nach Kassel nicht verpassen. Sophie konzentrierte sich aufs Autofahren wie eine Novizin bei der Führerscheinprüfung. Und endlich war sie auf der Strecke.
    Sie fuhr auf der rechten Spur. Sie fuhr langsam. Das schwarze Tuch des Verdecks knatterte, und es zog im Wagen. Aber die Ledersitze rochen vertraut, und das Motorengeräusch gab ihr das Gefühl, geborgen zu sein.
    Das Buch. Es war ihr Triumph über die Vergangenheit gewesen. Sie hatte sie sich angeeignet und neu definiert. Aber nun war eine andere Kraft am Werk und drängte sich in ihre Erzählung. Und mit einem Mal wußte sie nicht mehr, was wirklich war und was nur ein Produkt ihrer Phantasie. Nicht das Buch war zum Leben erwacht – die Vergangenheit forderte ihr Recht und schimmerte wie eine geheime Botschaft durch den Text. Und begann, ihn auszulöschen.
    Der Mann. Der Fotograf. Für einen Moment hatte sie geglaubt, ihn zu kennen. Hatte gefürchtet, daß er wie damals Marlene etwas las in ihr, daß seine Fotos sie enthüllen, sie bloßstellen würden. Daß er ihr das Gesicht nehmen könnte – die alte Indianerfurcht. Und dann, als er ihnen folgte, nach draußen, auf den Hof hinter dem Präsidium … Was wollte er von ihr?
    Hinter ihr hupte ein LKW. Sie blickte auf den Tacho. Sie fuhr zu langsam, viel zu langsam. Der Mercedes reagierte sofort, als sie beschleunigte und auf die mittlere Spur wechselte. Hinter ihr blendete der LKW-Fahrer auf. Wahrscheinlich hielt er sie für den typischen Fall von »Frau am Steuer«, die an alles mögliche, nur nicht ans Autofahren denkt.
    Sie verzog den Mund. Und hatte er nicht recht? Reiß dich zusammen, Sophie. Der Journalist hat dich auf dem falschen Fuß erwischt. Das kommt vor.
    Und ihre Angst war nicht real. Vielleicht war es nur die Angst vor Peinlichkeit? Vor dem Moment, in dem einer vor ihr stehen, sie umarmen und »Erinnerst du dich?« sagen würde. Und, wenn sie sich nicht erinnerte, vorwurfsvoll »Ich bin doch der Winnie!« riefe. Der Winnie, der Frank, der Marco, der Paul. Einer der vielen, die ihr nichts bedeutet hatten. Keiner hatte ihr etwas bedeutet. Davor nicht und danach erst recht nicht.
    Die Ehe mit Hanswolf Winter war der Versuch gewesen, endlich ein ganz gewöhnliches Leben zu führen. Normal zu fühlen, normal zu leben, normal zu sein. Nachdem alles in Scherben gefallen war, um sie herum, die Zeit der Unschuld vorbei war. Und es hatte sie gegeben, oder? Die Zeit, als der Rausch noch keine dreckige Nadel in der Vene war. Als man das Lied noch nicht zerstört hatte.
    1967 in London. Sie war durch die Stadt und die Szene getorkelt wie ein liebestrunkener Schmetterling. Alles war großartig: das Wetter, die Mode, die Musik, die Männer, das LSD, der Shit und die Süßigkeiten danach, wenn man bekifft war. Süßigkeiten, die sich im Mund aufplusterten und groß und wunderbar wurden. Alles plusterte sich auf und wurde groß und wunderbar in diesem unendlichen Rausch, alles hatte Bedeutung, jede Farbe, jeder Geruch, jeder Laut, jeder Mensch. Sogar das Ich, von dem damals alle glaubten, das es in jedem Menschen verborgen war und nur darauf wartete, entdeckt und befreit zu werden.
    Sophie hatte alles ausprobiert, hatte gekifft mit Steven, der einen Laden mit

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