Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
den Nachbarn. Der Türöffner summte.
Zweiter Stock. E. Prokovska, laut Türschild. Weiblich, älter, mütterliche Maße. Erst abwartend. Dann, nach Blick auf seinen Ausweis, ausladend hilfsbereit. »Furchtbar. Ihre Frau auf der Trage, ganz blaß. Und dann mit Blaulicht und Martinshorn abtransportiert. Da macht man sich doch Sorgen.« Wahrscheinlich erwartete sie detaillierte Schilderungen von Felis Zustand. DeLange schützte Eile vor. Sie schloß ihm die Wohnung auf.
Die Küche unaufgeräumt, wie gehabt. Dort, wo mal ihr Schlafzimmer gewesen war, wohnte jetzt offenbar der Kerl. Wie sie es mit dem bloß aushielt? In seinem Zimmer herrschten Zwielicht und peinliche Ordnung, das Bett war gemacht, obwohl die Vorhänge noch halb zugezogen waren. In Felis Zimmer schien eine blasse Sonne durch die ungeputzten Scheiben, die Tür zum Balkon stand halb offen, auf dem Boden stapelten sich die Bücher neben Schuhen und Kleidungsstücken. Das Bett ein Chaos aus Kissen und Decken, natürlich schlief der Kerl bei ihr, aber warum brauchte er dann noch ein eigenes Bett?
Ruhig, Alter. Ganz ruhig.
DeLanges Hand löste sich von der Türklinke, an die er sich geklammert hatte. Die oberste Kommodenschublade stand offen. Slips, Büstenhalter, Hemden. Er schob die eine zu und öffnete die andere. Nachthemden besaß Feli nicht, nur so etwas wie Pyjamaoberteile für ziemlich große Männer. Er legte zwei davon auf ihr Bett, suchte vier der am wenigsten frivolen Unterhosen heraus und zwei Paar Socken.
Die Haarbürste. Nicht die Haarbürste vergessen.
Er hatte keine Vorstellung, wo er nach ihrer Versicherungskarte suchen sollte. Bei ihm steckte so etwas ganz ordentlich in einer großen Brieftasche, die er in der Schreibtischschublade aufbewahrte. Ihr Schreibtisch bestand aus einem Türblatt auf zwei Schubladencontainern aus dunklem Metall. Er öffnete eine Schublade nach der anderen. In der dritten fand er den Fül-1er, den er ihr vor Jahren geschenkt hatte, das Hochzeitsfoto, auf dem sie wunderschön aussah, zwei Kinderschühchen, eins von Flo, eins von Caro, ein silbernes Zehnmarkstück, einen Button vom Museumsuferfest 2004, die Reste einer vertrockneten Rose und, ganz unten, ihren Ausweis, das Bonusheft für den Zahnarzt und die Versicherungskarte.
»Was zum Teufel machen Sie hier?«
DeLange fuhr herum. So sah der Kerl also aus. Ein Bürschchen. Blaß wie ein Engerling. Große schwarze Brille.
»Wie kommen Sie hier rein?«
Typ Buchhalter. Oder IT-Experte. Viel zu jung für sie. »Das geht Sie gar nichts an.« DeLange nahm Ausweis und Versicherungskarte an sich.
»Legen Sie das gefälligst zurück!«
Oho. Das Bürschchen kam näher und pumpte sich auf.
»Ich hole die Polizei!«
DeLange lächelte. Er wußte, wie er dabei aussah.
»Raus hier!« Der Engerling kriegte richtig Farbe im Gesicht.
»Wer sind Sie eigentlich, junger Mann?« DeLange lächelte nicht mehr. Er grinste. Nichts würde ihm größere Erleichterung verschaffen als eine einfache, ehrliche, gradlinige Prügelei.
»Das möchte ich Sie fragen!«
DeLange wartete ein paar Takte, bis sich der Wunsch legte, dem Kerl schon mal präventiv eine zu knallen. »Giorgio De-Lange«, sagte er schließlich. Doch er war zu allem bereit.
Verblüfft sah er, wie der andere das Gesicht verzog und zu strahlen begann.
»Hätten Sie das nicht gleich sagen können?« Der Kerl streckte die Hand aus. DeLange mußte sich zusammenreißen, um sie nicht zu ergreifen. Aber er hielt nichts von einer sogenannten aufgeklärten Beziehung zwischen Liebhaber und Ex. Er glaubte ans Archaische im Mann, und das hieß: Finger weg von dem, was mir gehört. Schließlich hatten weder Feli noch er die Scheidung eingereicht.
Doch der andere ließ sich durch nichts von seiner freudigen Erregung abbringen. »Ich bin Frank Kramer. Ich habe den Notarzt angerufen, und dann ging alles furchtbar schnell. Ich weiß noch nicht einmal, in welches Krankenhaus sie Felicitas gebracht haben. Auch wenn ich keine Zeit habe, sie zu besuchen …« Der Wichtigtuer blickte doch tatsächlich auf seine Armbanduhr.
»Na, das muß wahre Liebe sein.« Erst die Freundin fast verrecken lassen und dann keine Zeit für einen Besuch haben. De-Lange hatte schon wieder Lust auf Prügel – und spürte die alte Wut auf Feli. Wie konnte sie sich mit einem solchen Weichei abgeben, das nun auch noch zart errötete.
»Na ja, ich bin ja nur der Untermieter, und da mischt man sich ungern ein.«
DeLange sackte der Unterkiefer weg. Er ließ
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