Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
besänftigen.
Tatsächlich hielt Jan-Patrick inne. Er stützte sich auf eine Salatkiste, spitzte die Lippen und zählte im Säuselton auf (die Weinempfehlungen nannte er jeweils eine Oktave tiefer): »Zunächst einen frischen Feldsalat aus dem Knoblauchsland mit knusprigen Buttercroutons, dann Entenbrust an Rosmarinsauce mit Kloß und Rotkraut und zum Abschluss Lebkuchenparfait mit Glühweinsabayon. Ich werde dazu einen gehaltvollen fränkischen Roten des Jahrgangs 2003 anbieten und alternativ einen Silvaner: Volkacher Trocken.« Er sog die eiskalte Winterluft in seine Lungen, als stände er im lauen Sommerwind inmitten der Reben eines unterfränkischen Weinbergs. »Vielleicht lassen wir das Menü doch lieber mit marinierten Erdbeeren und Sauerrahmeis ausklingen.«
»Hört sich verführerisch an«, Paul hörte seinen Magen leise grummeln. »Wie immer.«
»Du bist eingeladen. – Wie immer.« Jan-Patrick grinste breit, und sein Mund schien mit mehr blitzblanken weißen Zähnen ausgefüllt zu sein, als dies anatomisch überhaupt möglich war.
Paul wandte sich dem Lieferwagen zu, stapelte zwei Kisten mit knackig frischen Tomaten aufeinander und folgte dem Koch ins Innere des schmalen Fachwerkhauses, das – durch seine Architektur geprägt – eigentlich urfränkisch war, aber von der Atmosphäre, die es atmete, durchaus einen französischen Touch hatte. Die Küche lag gleich im Eingangsbereich. Gläserne Kühlvitrinen ermöglichten es jedem Gast, sich von der Frische der Ware schon beim Eintreten zu überzeugen. Kellnerin Marlen war gerade dabei, in kleine Stücke gehauenes Eis in den Auslagen zu verteilen. In diesem Eisbett würden später säuberlich ausgenommene Flussbarben, Barsche, Goldbrassen, Forellen und Zander liegen.
»Dieser Bull-, äh, Polizist …«, schimpfte Jan-Patrick.
Paul genoss es, mit welchem Vergnügen und welcher Vehemenz Jan-Patrick seinen Standpunkt verteidigte und sich in nichtige Details hineinsteigern konnte. Manchmal fragte er sich freilich, was bloße Fassade war und was den echten Jan-Patrick ausmachte.
Der Koch griff sich ein Büschel Kräuter, säuberte es unter sprudelndem Wasser und begann, die Blätter in wahnwitzigem Tempo mit einem sicherlich höllisch scharfen Messer zu hacken. Paul wurde allein vom Zugucken angst und bange. »Er sollte sich lieber mit den Morden befassen, statt unsere Arbeit zu blockieren«, wetterte Jan-Patrick weiter über den Polizisten.
»Morde?«, Paul hatte die willkommene Abwechslung vom düsteren Thema Densdorf gerade zu genießen begonnen, da sprach ausgerechnet Jan-Patrick die Sache wieder an. Paul beugte sich zu einem verführerisch verschnürten Block Hartkäse herab und schnupperte erwartungsvoll daran, doch er konnte all den Köstlichkeiten in diesem Moment nichts mehr abgewinnen. »Ich weiß nur etwas von Unfällen«, log er, weil er spontan nicht einzuschätzen vermochte, wie weit er Jan-Patrick ins Bild setzen sollte. Schließlich hatte er Katinka gegenüber Vertraulichkeit gelobt.
»Unsinn!«, Jan-Patricks Bewegungen mit dem Messer wurden noch schneller, blieben jedoch präzise, »zwei Tote, zwei Motive für Mord.«
Paul ließ den Käse Käse sein und richtete sich auf. »Du sprichst von Helmut Densdorf und dem Toten im Dürerhaus, ja?«
Jan-Patrick nickte. »Es ist ganz einfach. Ich verstehe gar nicht, warum die Presse das nicht schreibt: Jeder weiß von den Affären, die Densdorf hatte. Seine letzte war die Frau des Schreiners.«
»Was?« Paul war fassungslos. Warum hatte er davon bisher nichts gehört? Warum hatte Katinka ihm davon nichts erzählt?
»Der Schreiner stellt ihn zur Rede«, folgerte Jan-Patrick weiter. »Es kommt zum Streit. Dann erschlägt ihn Densdorf. Anschließend rächt wiederum die Witwe des Schreiners ihren Mann und bringt Densdorf um.«
»Moment, Moment, nicht so schnell«, bremste Paul den kochenden Sherlock Holmes. »Woher weißt du von der Affäre zwischen Densdorf und der Schreinerswitwe?«
»Von nirgendwo her«, sagte Jan-Patrick, »ich habe mir das eben gedacht.«
»Gedacht? Du meinst ausgedacht?«, fragte Paul ungeduldig.
»Ja«, sagte der Koch knapp, »aber es könnte durchaus so gewesen sein.« Er strich die klein gehackten Kräuter vom Brett in ein blank geputztes Edelstahlschälchen und hob dann nachdenklich den Kopf. »Vielleicht sollte ich zum zweiten Gang doch besser den Ruppertsberger Gaisböhl Riesling Spätlese anbieten. Meine Kunden bevorzugen das Exquisite, selbst wenn es einmal nicht
Weitere Kostenlose Bücher