Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
schüttelte den Kopf. »Das darf doch alles nicht wahr sein!«, schimpfte er vor sich hin.
Er zog seinen nassen Pyjama aus, steckte den Kopf unter die Decke und zwang sich, an etwas Harmloses zu denken.
Es fiel ihm schwer, etwas Geeignetes zu finden. Und noch schwerer, tatsächlich noch einmal einzuschlafen.
22
Nachdenklich kaute er am nächsten Morgen auf seinem Brötchen herum. Der böse Traum der letzten Nacht zeigte seine Folgen – Paul fühlte sich, als hätte er einen Kater.
Er hatte das dringende Bedürfnis nach Ruhe und Frieden. Am liebsten hätte er sich in seinem Loft verbarrikadiert und die Schnüffelei in Sachen Reichskleinodien ein für allemal sein gelassen. Aber ihm war klar, dass sich die Schlinge um seinen Hals immer enger zusammenzog. Er war und blieb eine Schlüsselfigur im Mordfall Meinefeld. Seine Möglichkeiten, aktiv etwas zu tun, schmolzen währenddessen dahin: Die Spur zu Schrader war erkaltet – oder zumindest auf unabsehbare Zeit verbaut. Und in der Nähe des Tatorts, der in Paul vielleicht schlafende Erinnerungen hätte wachrufen können, war er ja schon während der Ausstellungseröffnung gewesen.
Eine Option bestünde darin, sich unter Hypnose setzen zu lassen, in der Hoffnung, dass sich die fehlenden Erinnerungen an die Mordnacht doch noch einstellen würden. Aber Paul zweifelte am Erfolg solcher Methoden.
Folglich blieb ihm als letzte Möglichkeit, sich doch noch einmal an die zweite Zeugin zu halten.
Paul mochte gar nicht daran denken, die arme Nadine Schneider erneut behelligen zu müssen. Vor allem aber fürchtete er abzublitzen, denn sie hatte ihm ja klar zu verstehen gegeben, dass sie zu viel Angst davor hatte, ihr Wissen preiszugeben. Um die eingeschüchterte junge Frau zur Kooperation zu bewegen, bedurfte es besonderen Einfühlungsvermögens.
Paul dachte nach, während er die zweite Brötchenhälfte mit Butter bestrich. Die einzige aussichtsreiche Hilfe, die ihm einfiel, konnte er von Hannah erwarten.
Paul trank seinen Kaffee aus und rang sich dann zu einer Entscheidung durch. Er tippte Hannahs Handynummer ein.
Das laute Motorengeräusch im Hintergrund verkündete ihm, dass Hannah gerade am Norisring war.
»Ja? Was gibt’s?«, rief sie ins Telefon, um den Lärm zu übertönen.
»Ich brauche dich für eine kleine Gefälligkeit. Ein Job sozusagen«, sagte Paul und sprach dabei automatisch ebenfalls lauter.
»Moment!«, rief Hannah. Dann wurden die Hintergrundgeräusche leiser. »So, jetzt können Sie reden.«
»Ich habe einen kleinen Job für dich«, wiederholte Paul.
»Was für ein Job soll das denn sein?«, fragte Hannah.
Paul erklärte es ihr und sparte dabei auch die Ereignisse seines letzten Zusammentreffens mit Nadine Schneider nicht aus.
»Das ist verrückt«, war Hannahs spontane Reaktion darauf. Dann aber erkundigte sie sich: »Was springt denn dabei für mich raus?«
»Wieso?«, entgegnete Paul verblüfft.
»Naja, Sie sprachen von einem Job. Einen Hunderter möchte ich schon sehen, wenn ich für Sie wieder einmal als Türöffner herhalten soll.«
»Hundert?«, fragte Paul erschrocken. »Ich dachte, du hilfst mir, weil du an meine Unschuld glaubst. Wie wäre es mit der Einladung zu einem Cocktail in der Happy Hour?«
»Fünfzig. Keinen Cent weniger«, bestimmte Hannah. »Schließlich bin ich eine arme Studentin.«
Paul gab schweren Herzens nach. Erst die teure Zigarre, die er Blohfeld noch schuldete, und jetzt das Geld für Hannah – der Fall wurde allmählich kostspielig. Paul raffte sich auf und ging endlich daran, den Reifen seines Renaults zu wechseln.
23
Diesmal wartete Paul nur so lange im Verborgenen, bis Hannah es geschafft hatte und Nadine Schneider die Wohnungstür öffnete. Er trat aus einer Nische heraus und drängte die überrumpelte Nadine in ihre Wohnung.
»Was soll denn das heißen?«, stieß sie verstört hervor. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nicht mehr darüber sprechen werde.«
Paul platzierte die schlanke junge Frau mit sanftem Druck auf ihrem Sofa. Hannah setzte sich daneben und sah sie mitfühlend an.
»Wer hat dir denn das Veilchen verpasst?« fragte sie.
Nadine blickte zwischen Hannah und Paul hin und her.
»Das verrät sie nicht«, sagte Paul. »Sie legt es lieber darauf an, noch einmal verprügelt zu werden.«
Hannah funkelte ihn böse an. »Wie wäre es mit ein wenig Taktgefühl?« Sie wandte sich der eingeschüchterten Nadine zu und sagte sanft: »Du musst uns nicht erzählen, wer dich geschlagen hat.
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