Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
halten Sie davon, wenn wir unser Gespräch oben im Zimmer fortsetzen?«
Rubach zögerte einen Moment. Dann willigte er ein: »Also gut. Warum nicht.«
Sie gingen durchs Foyer zu den Aufzügen. »Wir müssen ganz nach oben«, sagte der Professor.
»Wir wissen, welche Wirkungen radioaktive Strahlung auf den menschlichen Organismus haben kann«, sprach Rubach weiter, als sie das geräumige Hotelzimmer im Obergeschoss betraten. Der Professor hatte nahezu jede freie Fläche genutzt, um Schnellhefter, Bücher und Papierstöße darauf abzulegen. »Der Atomphysiker Louis Bulgarini stellte 1949 die Behauptung auf, die alten Ägypter hätten bereits die Gesetze des Atomzerfalls gekannt. Die Priester und Weisen nutzten angeblich die Kräfte des Uraniums, um ihre Heiligtümer zu schützen. Diese Strahlung wäre eine mögliche Erklärung für den berüchtigten Fluch der Pharaonen, dem ja etliche Archäologen zum Opfer gefallen sein sollen.« Rubach suchte einige Unterlagen zusammen. »Wie auch immer: Ein nicht-terrestrisches Element mit ähnlich starker, aber für den menschlichen Organismus förderlichen Strahlung könnte die sagenhafte Heilswirkung der Lanze erklären und . . .«
Abermals wurde Rubach in seinen Ausführungen unterbrochen. Diesmal, weil es an der Zimmertür klopfte.
»Entschuldigen Sie«, bat der Professor.
Paul nickte höflich und blickte ihm nach.
Kaum hatte Rubach die Tür geöffnet, hörte Paul eine Männerstimme lautstark auf den Professor einreden:
»Stimmt es, dass Sie mit Ihren Forschungen vor dem Aus stehen? Ist es richtig, dass die Fachwelt Sie als Illusionisten gebrandmarkt hat und Sie aus den ernstzunehmenden Wissenschaftszirkeln ausschließen will?«
»Wer . . . wer sind Sie?«, fragte Rubach ebenso überrumpelt wie verärgert.
Paul schmunzelte wissend, als er Blohfelds fortgesetzter Fragenattacke zuhörte:
»Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information. Entspricht es der Wahrheit, dass Sie finanzielle Vorauszahlungen von Fernsehsendern für private Zwecke veruntreut haben? Sind Sie nach dem Fiasko der abgesagten Untersuchungen bankrott? Haben Sie . . .«
»Warten Sie!«, herrschte Rubach Blohfeld an. »Wir reden draußen weiter.«
Sichtlich unangenehm berührt kehrte Rubach kurz ins Zimmer zurück. »Würden Sie mich bitte für einen Augenblick entschuldigen? Ich muss mich einem Ihrer Kollegen widmen, der offenbar einigen Desinformationen meiner Kontrahenten aufgesessen ist. Es wird nicht lange dauern.«
»Ein aufdringlicher Reporter, der lästige Fragen stellt«, sagte Paul jovial. »Ja, auch in meiner Branche gibt es leider schwarze Schafe. Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
Paul wartete, bis Rubach die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte, klatschte angesichts der gelungenen Finte erfreut in die Hände und machte sich auf die Suche.
Wonach genau er sich umsehen wollte, wusste Paul zu diesem Zeitpunkt selbst nicht. Er hoffte auf Hinweise gleich welcher Art auf den Reichskleinodien-Coup oder gar die Morde. So nahm er sich einen Aktenordner nach den nächsten vor.
In konzentrierter Eile durchwühlte er die vielen Computerausdrucke, die der Professor in dem Hotelzimmer verteilt hatte. Ohne Ergebnis.
Dann sah er sich die Inhalte etlicher Schnellhefter und sogar einige Notizen an, die er neben dem Telefon fand.
Paul blickte auf die Uhr. Zehn Minuten waren bereits vergangen, seit Rubach das Zimmer verlassen hatte. Wie lange würde Blohfeld ihn noch hinhalten können?
Paul hatte fast aufgegeben, als er in einem der zahllosen Aktenstapel auf Kopien alter Dokumente stieß. Es handelte sich ganz offensichtlich um behördliche Unterlagen: knapp ein Dutzend offizielle Schreiben mit Stempel und Dienstsiegel, alle datiert auf die Jahre 1944 und 1945.
Paul sah genauer hin. Offenbar hatte er es hier mit Bestandslisten zu tun. Rubach hatte einige Zeilen mit Textmarker hervorgehoben. Daneben hatte er große Fragezeichen gemalt. War Paul auf etwas Bedeutsames gestoßen?
Er entzifferte die schwer leserliche Schrift der alten Kopien und kam zu dem Schluss, dass es sich bei der Aufzählung einzelner Artikelnummern um Bestandteile der Reichsinsignien handelte. In den von Rubach markierten Zeilen wurde explizit die Heilige Lanze bezeichnet. Sie wurde im Zusammenhang mit einer sechsstelligen Nummer aufgelistet, die – so schlussfolgerte Paul – wohl der Kiste entsprach, in der sie während der Bombenangriffe im Nürnberger Kunstbunker gelagert worden war.
Das Erstaunliche: Die Lanze tauchte
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